Tausende verlassen belagerte Städte
Nach mehr als zweijähriger Leidenszeit werden 35.000 Syrer aus vier belagerten Städten gebracht. Kritiker sprechen von ethnischen Säuberungen.
Am Karfreitag hat in Syrien die Evakuierung von vier Kleinstädten begonnen, die seit mehr als zwei Jahren einer Hungerblockade des Assad-Regimes und dschihadistischer Rebellen ausgesetzt waren.
Begleitet von Krankenwagen verließen am Freitag etwa 60 Busse mit rund 2300 Menschen die beiden von regierungstreuen Kräften belagerten Städte Madaja und Sabadani nahe der Grenze zum Libanon, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und regierungsnahe Medien meldeten. „Die Menschen sind traurig, aber sie hatten keine Wahl“, sagte der Aktivist Nahel Nur. „Es ist, als ließe man sein ganzes Leben zurück.“Die Menschen, überwiegend Sunniten, werden in die ebenfalls sunnitische Rebellenprovinz Idlib im Nordwesten des Landes gebracht.
Zugleich hätten etwa 75 Busse rund 5000 Einwohner aus den von Rebellen belagerten Orten Fua und Kafraja gebracht, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte weiter.
Diese beiden Städte werden vor allem von Schiiten bewohnt, die in Syrien eine Minderheit sind. Sie werden vermutlich im Westen von Damaskus angesiedelt, was ganz im Sinne des Assad-Regimes ist. Baschar al-Assad und sein Clan zählen zur Gruppe der ebenfalls schiitischen Alawiten. Er betrachtet die Angehörigen der schiitischen Minderheit als Verbündete. Die sunnitische Landbevölkerung dagegen unterstützt mehrheitlich die Rebellen, die mit Madaja und Sabadani ihre letzten Bastionen zwischen Damaskus und der libanesischen Grenze an die Milizionäre der schiitischen Hisbollah verlieren werden. Es ist daher kein Wunder, dass das vermittelte Evakuierungsabkommen von der Opposition scharf kritisiert wird. Was am Karfreitag begann, sei kein Akt der Barmherzigkeit, sondern Teil einer gezielten ethnischen Säuberung, betonen Aktivisten. Sie befürchten, dass Assad das Land nach ethnischen und religiösen Kriterien umgestalten wolle. Wer Widerstand leiste, werde, sofern er nicht gleich getötet werde, so lange eingekesselt und ausgehungert, bis er seiner Evakuierung in die 300 Kilometer nördlich von Damaskus gelegene Provinz Idlib zustimme.
Die „systematische Vertreibung“funktioniert offenbar hervorragend. Vor allem in der Region Damaskus sind immer häufiger völlig ausgezehrte sunnitische Zivilisten und Rebellen bereit, die Kapitulationsbedingungen des Regimes zu akzeptieren.
Um den Widerstand zusätzlich zu demütigen, werden entsprechende Vereinbarungen dann als „Versöhnungsabkommen“gefeiert. Die Evakuierungsvereinbarung betrifft rund 35.000 Syrer. Abzuwarten bleibt, ob, wie in dem Abkommen ebenfalls vorgesehen ist, auch 1500 oppositionelle Gefangene vom Regime freigelassen werden.
Assad bestritt erneut, die eigene Bevölkerung mit Giftgas angegriffen zu haben. Der Chemiewaffenangriff von Chan Scheichun sei zu „100 Prozent konstruiert“, behauptete er. Dem Westen und den USA warf Assad vor, den Vorfall als Vorwand für Angriffe auf die syrische Armee genutzt zu haben. Diese sei in ihrer Schlagkraft jedoch unbeeinträchtigt.