„Bergbauern“mitten in Wien
Minister Rupprechter will Bundesbehörden aufs Land verlagern. Mitarbeiter einer betroffenen Dienststelle setzen sich dagegen zur Wehr.
WIEN. Weit und breit nur Häuserschluchten, Beton und Lärm. Ums Eck eine Hauptverkehrsstraße. Und an der Eingangstür der Adresse Marxergasse 2 ein Schild mit einer Einrichtung, die man mitten im Zentrum von Wien wohl nicht vermuten würde: „Bundesanstalt für Bergbauernfragen“ist darauf zu lesen.
Die dem Landwirtschaftsministerium zugeordnete Dienststelle ist nur ein Beispiel von vielen. 64 von 68 Bundesbehörden sind in und um Wien angesiedelt. Agrarminister Andrä Rupprechter (ÖVP) will das ändern. Dezentralisierung lautet das Zauberwort. Rupprechter will binnen zehn Jahren zehn Prozent der derzeit in Wien angesiedelten Bundesbehörden aufs Land verlagern und damit die Abwanderung der Bildungselite aus dem ländlichen Raum stoppen.
Sein Plan: Rotholz in Tirol soll zu einem Berglandwirtschaftsforschungszentrum ausgebaut und die Bundesanstalt für Bergbauern dort untergebracht werden. Und wie geht es den 14 Mitarbeitern mit der Idee? Sie sind wenig begeistert. „Für uns ist das im Augenblick schwer vorstellbar. Vielleicht tun sich Leute im diplomatischen Dienst leichter, alles zusammenzupacken und umzusiedeln. Aber wir sind alle Familienmenschen und würden nicht alles zurücklassen und allein irgendwo hinziehen“, sagt Désirée Ehlers, seit acht Jahren Direktorin der rein wissenschaftlich arbeitenden Dienststelle. Die 48-jährige Landschaftsplanerin hat selbst eine schulpflichtige Tochter.
Für ihr Team wäre es aus derzeitiger Sicht schwierig, ganze Familien würden aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen. „Die Pläne kamen sehr überraschend. Man muss erst sehen, wie diese konkret ausgestaltet sind“, erklärt Ehlers. Der Direktorin zufolge ist die Bezeichnung „Bundesanstalt für Bergbauernfragen“irreführend. Das Institut, das seit 40 Jahren in Wien existiert, forsche im ländlichen Raum mit dem Schwerpunkt Berggebiet und benachteiligtes Gebiet – vom Burgenland über die Steiermark bis zu alpinen Regionen in Tirol und Vorarlberg. Die Palette der Themen sei breit – auch zu Klimawandel, Mobilität, Sozialem oder Frauen auf dem Land und Digitalisierung (www.berggebiete.at) würden Forschungsarbeiten durchgeführt. Natürlich passiere auch Feldforschung vor Ort, 60 bis 70 Prozent der Gesamtarbeitszeit werde aber vor dem Computer in der Dienststelle zugebracht. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt seien EU-Projekte mit anderen Ländern. „Die Kollegen – Agrarökonomen, Agrarsoziologen, Raum- und Landschaftsplaner – sind zwei bis drei Mal im Monat im Ausland bei verschiedenen Projektpartnern unterwegs. Wichtig wäre daher eine gute Anbindung an einen internationalen Flughafen“, betont Ehlers.
Überhaupt sei die Infrastruktur für einen potenziellen neuen Arbeitsplatz entscheidend. Sie denke beispielsweise an Ganztageskinderbetreuung – viele Infrastrukturangebote seien auf dem Land in den vergangenen Jahren sukzessive zurückgebaut worden. Und in anderen Ländern würden bei Umsiedlungsprojekten qualifizierten Mitarbeitern Wohnungen zur Verfügung gestellt. Ehlers hätte einen anderen Vorschlag, nämlich Telearbeitsplätze: „Warum einen fixen Standort für eine Institution? Man trifft sich zu Projektbesprechungen und koordiniert digital. Mit einer tollen Breitbandinitiative sollte das kein Problem sein.“
Der Widerstand ist also groß. Auf den Tiroler Minister Rupprechter wartet noch viel Überzeugungsarbeit. Dessen ist er sich bewusst. Es soll auch niemand zwangsumgesiedelt werden. Vielmehr gelte es die kommende Pensionierungswelle zu nutzen, schließlich gehen bis 2024 rund 55.000 Bedienstete aus der öffentlichen Verwaltung in Pension. Désirée Ehlers gehört nicht dazu, sie ist in zehn Jahren 58 Jahre alt. Für die Wienerin müsste wohl eine andere Lösung gefunden werden.
„Wir wollen nicht irgendwo hinziehen.“