Geflohen für den Glauben
Wenn muslimische Asylbewerber zum Christentum konvertieren, kommt von vielen Seiten Kritik. Eine Frau erzählt, warum sie aus dem Iran geflohen ist, um Christin zu sein.
WIEN. Von dem Taschentuch in Alexandras linker Hand ist nicht mehr viel übrig. Trotzdem trocknet sie sich damit immer wieder die Augen. Dazwischen erzählt die Iranerin eine Geschichte von Verfolgung, Angst, Religion und davon, dass sie alles hinter sich gelassen hat, um sich taufen zu lassen.
Ab Ostersonntag wird die Asylbewerberin Christin sein. Ganz offiziell. Bis vor zwei Jahren war sie wegen dieses Wunschs noch in Lebensgefahr. „Seit 18 Jahren warte ich auf die Taufe“, sagt die zierliche Frau mit den schwarzen Haaren.
Die katholische Kirche freut sich in diesem Jahr über eine Spitzenzahl an Erwachsenentaufen. Insgesamt wurden in Österreich heuer 633 Erwachsene zur Taufe zugelassen. Etwa zwei Drittel davon werden in der Osternacht in die katholische Kirche aufgenommen. Die Zahl bedeutet einen über 50-prozentigen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr. Dem entgegen steht, dass 54.886 Personen im vergangenen Jahr die römisch-katholische Kirche in Österreich verlassen haben. Hauptgrund für die hohe Zahl von Taufbewerbern sind diejenigen, die im Zuge der Flüchtlingsbewegung kamen und Christen werden wollen.
In manchen Fällen kann der christliche Glaube als Fluchtgrund gelten. Immer wieder kommt es auch vor, dass muslimische Asylbewerber versuchen, mit der Taufe eher Asyl zu bekommen. Doch die Behörde und die Kirche würden Anwerber streng prüfen.
Als die heute 41-jährige Alexandra das Christentum für sich entdeckte, lebte sie noch in der iranischen Hauptstadt Teheran. „Ich habe zuvor den Islam streng praktiziert.“Fünf Mal am Tag beten, Fasten im Ramadan und das Tragen des Hidschabs waren ganz normal. Doch irgendwann habe sie sich im schiitischen Islam, der Staatsreligion im Iran, nicht mehr wohlgefühlt: „Man hat das Bild von einem bösen, einem strafenden Gott gezeichnet.“Regeln, Vorschriften und die Religion dominierten den Alltag. Für sie sei der Glaube vor allem mit Furcht verbunden gewesen. „Ich habe Gott nicht geliebt, ich hatte Angst vor ihm“, sagt sie heute. Wieder kommen die Tränen, das Taschentuch ist nur noch ein nasser Fetzen.
Alexandra begann sich für andere Religionen zu interessieren. Buddhismus, Hinduismus, Judentum. Auch die Bibel kaufte sie sich und begann sich für das Christentum zu begeistern und ein Vertrauen in die Person zu legen, die sie laut eigener Aussage heute durch ihr Leben begleitet: Jesus. „God is working“(Gott arbeitet) sagt sie immer wieder, wenn sie versucht, ihre eigene Lebensgeschichte zu ordnen. Für Außenstehende mag das vielleicht schwer nachvollziehbar sein, für Alexandra ist es ihr Lebensinhalt geworden.
Ihre Eltern nahmen ihr Interesse am Christentum zunächst nicht allzu wichtig. Schließlich gilt Jesus im Islam als Prophet und die Bibel als heilige Schrift. Christen aus ethnischen Minderheiten wie Armenier und Assyrer dürfen das Evangelium im Iran verkünden, allerdings nur in ihrer Sprache. Muslimen, die hingegen zum Christentum konvertieren, droht im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Viele Christen organisieren sich im Iran deshalb versteckt in sogenannten Heimkirchen und entwickeln eine Art Geheimsprache. Etwa: „Ich gehe nächste Woche einkaufen.“Diese Nachricht schickte Alexandra vor wenigen Wochen aus Wien ihrer Familie. Sie wissen so, dass Alexandra bald getauft wird.
„Wir sehen uns die Leute, die getauft werden wollen, ganz genau an“, erzählt Friederike Dostal von der Erzdiözese Wien. Man verlange Engagement in der Gemeinde, das regelmäßige Besuchen von Messen. „Über die zusätzlichen Mitglieder freue man sich natürlich. „Diese Menschen sind oft viel engagiertere Kirchenmitglieder als jene, die bereits als Säuglinge getauft wurden und nie einen wirklichen Zugang zum Glauben gefunden haben.“
Als Alexandras Familie im Iran erfuhr, dass sie Christin werden wollte, drohte ihr Vater sie zu verstoßen, brachte es allerdings nicht übers Herz. Sie lebte – geduldet von ihrer Familie und versteckt in der Gesellschaft – ihren Glauben. 2015 wurde ihr „großer Bruder“– das Codewort für Priester – festgenommen. Für Alexandra und ihre Familie war klar, dass sie fliehen müsse. „Die Polizei war bereits aufmerksam auf mich geworden.“Versteckt in einem Lkw sei sie deshalb in die Türkei geflohen und von dort nach Österreich.
Seit November 2015 wartet sie nun auf ihren ersten Termin bei der Asylbehörde. „Aber für mich zählt jetzt einmal nur Sonntag, wenn ich einkaufen gehe.“