Nach der Hochzeit ist Stress Der Schlupfvorgang ist sehr anstrengend
Zwitschernde und brütende Vögel: Was uns Menschen die schönsten Frühlingsgefühle bereitet, bedeutet in der Vogelwelt eine gewaltige Schufterei.
HÜDE. Der Kraftakt beginnt schon auf der Rückreise aus den Winterquartieren. Viele Vögel legen dabei erhebliche Entfernungen zurück, um bei uns brüten zu können und ihre Jungen aufzuziehen. Weißstörche etwa, die zu den ersten Heimkehrern zählen, kommen teilweise aus Südafrika und fliegen so Strecken von 10.000 Kilometern. Das allein ist schon eine enorm kräftezehrende Leistung, bei der so mancher Vogel im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke bleibt.
Diejenigen, die nach dem anstrengenden Flug hier eintreffen, haben in der Regel stark an Gewicht verloren und sehen sich zugleich einem weiteren Problem gegenüber: Viele Brutreviere sind schon von Konkurrenten besetzt, die im Winter hier geblieben sind – wegen des Klimawandels werden das übrigens immer mehr, sagen Ornithologen.
Kaum im Brutrevier angekommen, beginnt der Streit um die besten Brutplätze und um den begehrtesten Partner. Die männlichen Tiere liefern einander dabei oft heftige Kämpfe, die ihnen blutige Verletzungen einbringen können. Aber auch der Nestbau selbst hat es in sich. Während wir Menschen uns fragen, wie die Tiere derart filigrane und dennoch robuste Gebilde überhaupt zustande bringen, braucht eine Amsel schon allein dreihundert Flüge, um genügend Nistmaterial herbei zu schaffen. Die größten Nester mit bis zu zwei Metern Höhe und bis zu zwei Tonnen Gewicht baut in Europa übrigens der Storch. Der zehn Gramm leichte Zaunkönig hingegen baut auch schon mal ein ganzes Dutzend Nester und lässt dem Weibchen dann die Wahl, welches es bevorzugt. So oder so: eine erstaunliche Leistung.
Nach der Paarung geht es ans Eierlegen. Singvögel legen in der Regel jeden Tag ein Ei und beginnen dann nach dem Legen des letzten Eis mit der Brut. Somit schlüpfen auch alle Küken nahezu zeitgleich. Ganz im Gegensatz zu Schleiereulen etwa, die sofort nach dem Legen des ersten Eis mit dem Brüten beginnen. Die Küken schlüpfen dementsprechend zeitversetzt. Für das Wohlergehen der Nachkommen ist vor allem die gleichbleibende Temperatur der Eier von großer Wichtigkeit und so verbringen die Elterntiere durchaus 75 bis 80 Prozent ihrer Zeit brütend auf den Eiern. Einige Vögel bilden in der Brutsaison sogenannte Brutflecken an ihrer Brust aus. Das sind spezielle Körperpartien, die besonders stark durchblutet werden und an denen die wärmeisolierenden Federn teilweise ausfallen. So ist eine möglichst verlustfreie Übertragung der eigenen Körperwärme auf die Eier gewährleistet.
Während Sperlingsvögel nur einen derartigen Brutfleck haben, kommen Enten und Gänse durchaus auf drei dieser speziellen Hautstellen. Bei vielen Arten brütet allerdings nicht nur das weibliche Tier allein, sondern die Partner wechseln sich ab. In der Regel sind es allerdings die Männchen, die das Revier verteidigen, vor Feinden warnen und ihr Weibchen füttern.
Während kleine Sperlingsvögel wie Ohrenlerchen zehn Tage lang brüten, kommen Albatrosse und Kiwis auf atemberaubende 80 Tage und mehr. Vor dem Schlupf bilden die Nachkommen in den Eiern am oberen Teil des Schnabels einen sogenannten Eizahn aus, der ihnen das Aufbrechen der Eierschale erleichtert. Der Schlupfvorgang selbst ist dennoch sehr anstrengend für die Vögelchen. Singvögel brauchen im Schnitt etwa fünf Stunden, um sich komplett aus dem Ei zu schälen, bei Albatrossen kann sich dieser Vorgang über ganze sechs Tage hinziehen.
Manche „Nestflüchter“genannten Arten, wie etwa Entenvögel, verlassen das Nest schon kurz nach dem Schlüpfen. Schon sofort nach dem Schlupf sind sie relativ eigenständig und können je nach Art sogar schon schwimmen. „Nesthocker“hingegen wie Amseln kommen mit geschlossenen Augen zur Welt und auch ganz ohne Federn. Sie müssen von ihren Eltern also im wahrsten Sinne des Wortes aufgezogen werden.
Sind die Jungvögel erst einmal geschlüpft, beginnt für die Eltern der Stress des Futterholens, denn die Vögelchen sind schier unersättlich. Vor allem proteinreiche Nahrung ist gefragt, also Insekten. Manche Singvögel fliegen jeden Tag bis zu 900 Mal, damit ihr Nachwuchs den Hals voll genug bekommt. Ein Spatz verfüttert auf diese Weise allein von April bis August schon mal 23.000 Insekten an seine Brut, haben Ornithologen herausgefunden.
Selbst wenn die Jungtiere das Nest verlassen haben, ist für die Eltern meist noch lange nicht Schluss mit dem Stress. Viele Vögelchen wollen zunächst auch außerhalb des Nestes noch mit Nahrung versorgt werden. Einige Arten weisen ihre Sprösslinge in spezielle Jagdtechniken ein, wie manche Raubvögel. Bedenkt man, dass viele Arten zwei oder gar drei Mal im Jahr Nachwuchs großziehen, so kann man wohl zu Recht sagen, dass die Brutsaison für die Vögel kein lockerer Frühlingsspaziergang ist.