Monets grüne Liebe
„Ich brauche Blumen, immer, immer“, sagte er. In seinem Haus in Giverny bei Paris und in Basel sind seine lebenden und gemalten Meisterwerke zu sehen.
Ob sie manchmal Zwiesprache halten, jene, die drinnen an der Wand hängen, und die anderen, die draußen den Teich schmücken? In der Nacht vielleicht, wenn die Besucher längst Haus und Garten verlassen haben, wenn von den hellen Böden der Fondation Beyeler in Basel die Spuren des täglichen Ansturms getilgt sind? Nicht alle Seerosen gehen abends schlafen. Unter den mehreren Hundert Sorten sind solche, die in der Dunkelheit erblühen. Vielleicht haben sie dann Sehnsucht. Die einen drinnen auf dem Gemälde „Le bassin aux nymphéas“nach frischer Schweizer Nachtluft oder dem Garten in Giverny bei Paris, der die Inspiration für sie war. Die anderen draußen vor dem Kunsthaus dümpelnd, weil sie im ewigen Farbspiel auf der berühmten Leinwand bestaunt werden wollen.
Am 16. November 1920 schrieb Claude Monet an den Kunsthändler Georges Bernheim-Jeune: „Ich habe lange gebraucht, bis ich meine Seerosen verstand. Ich hatte sie zum Vergnügen gepflanzt; ich pflegte sie, ohne daran zu denken, sie zu malen. Von einer Landschaft wird man nicht an einem Tag geprägt. Und dann wurde mir plötzlich der märchenhafte Zauber meines Teichs bewusst. Ich griff zu meiner Palette. Seitdem habe ich fast kein anderes Modell mehr gehabt.“
Bild oder Teich, Kunst oder Natur? Für Claude Monet wäre das keine Frage gewesen. Er lebte in Farbe, Licht und Schatten. Er ging ins Freie und wurde Teil der Natur. Seine Augen sahen Blüten, Blätter, Gräser, Bäume, Wasser, Wolken. Mit dem Pinsel in der Hand löste er seine Wahrnehmungen in flirrendes Leuchten, in Spiegelungen, Bewegung und Stimmungen auf.
Er war der Maler, der der Natur die Seele zurückgab. Ihm, dem „Vater des Impressionismus“, hat die Fondation Beyeler anlässlich ihres 20-Jahr-Jubiläums derzeit eine große Ausstellung gewidmet. Das neun Meter breite und aus drei Teilen zusammengesetzte Bild „Le bassin aux nymphéas“gehört zur hauseigenen Sammlung – inklusive Blick auf einen echten Seerosenteich im anmutigen Garten.
Basel ist von Paris, in TGV-Zeit gerechnet, nicht weit weg. Etwas mehr als drei Stunden braucht der superschnelle Zug. Giverny liegt rund 70 Kilometer vor den Toren der französischen Hauptstadt. Dieser kleine Ort mit seinen heute knapp 500 Einwohnern wurde – bis zu seinem Tod 1926 – Claude Monets Heim, Werkstatt und Werk.
Es war Liebe auf den ersten Blick und sie sollte nicht enden. Mit 42 war er nach mühevollen Jahren endlich zu Ruhm und etwas Geld gekommen, als er 1883 das liebliche Dorf mit seinen Weingärten und Obstbäumen entdeckte. Die Seine funkelte im Sonnenlicht. Er mietete ein lang gestrecktes Haus mit einem Garten von akzeptabler Größe und zog mit seiner Familie ein: mit seinen beiden Söhnen aus der Ehe mit Camille, die 1879 im Alter von 32 Jahren an Krebs gestorben war, und seiner Freundin Alice Hoschedé, Frau des Sammlers Ernest Hoschedé, und ihren sechs Kindern.
Die ortsansässigen normannischen Landwirte beäugten solcherlei frei künstlerische Verhältnisse misstrauisch, und Monet gab ihnen noch mehr Grund dazu. Er ließ sogleich ein paar Bäume fällen, teilte seine Familie als Hilfsgärtner ein und kultivierte Obst und Gemüse für die täglichen Tafelfreuden im sonnengelb getünchten Speisezimmer, das wie der Rest des gemütlichen Hauses heuer seit Ende März wieder zu besichtigen ist. Davor entstand der Ziergarten „Clos Normand“, nicht als klassischer Bauerngarten allerdings, sondern als ein Gewimmel von fülligen gelben, weißen, roten und rosafarbenen Farbwolken. „Alles ist so arrangiert, dass sich das Fest ständig und ohne Unterbrechung erneuert“, vermerkte der Kunstkritiker Arsène Alexandre 1901 in „Le Figaro“. Das ist noch heute so. In der Mitte der Anlage teilt zudem wie zu Monets Zeit ein Weg mit Pinien den Garten in zwei Hälften. Rosen, die an Eisenbögen ranken, formen den duftenden Baldachin.
1890 konnte Monet das Anwesen kaufen, und drei Jahre später erwarb er dazu ein zweites Grundstück auf der anderen Seite der Straße hinter seinem „Clos Normand“. Dort pflegte er hingebungsvoll den Wassergarten mit dem Seerosenteich, gelegentlich über den Staub von der Schotterstraße fluchend, der seinen „Modellen“einen Grauschleier verpasste, den einer der Gärtner morgens entfernen musste. Zu dieser Zeit arbeiteten bereits sechs Gartenprofis für ihn. Sie hatten alle Hände voll zu tun, um es ihm recht zu machen. Monet kaufte ständig neue, auch seltene Pflanzen und korrespondierte mit Botanikern über Züchtungen und Anbauschwierigkeiten. Der Patron war nicht nur Maler aus Leidenschaft, sondern auch Gärtner mit Passion. Gute Freunde wie der Künstler und Mäzen Gustave Caillebotte oder der Staatsmann Georges Clemenceau kamen häufig in den Genuss, beides mit ihm zu teilen. Monet sandte an Clemenceau im Mai 1900 diese Zeilen: „Ich warte ungeduldig auf deinen seit Langem angekündigten Besuch. Nun ist die Zeit, in der du den Garten in voller Pracht erleben wirst, aber du musst dich beeilen. Kommst du lieber am Sonntag oder am Montag? Nicht später, sonst sind die Blumen verblüht. Außerdem habe ich Stapel von neuen Malereien.“
Monets Gemälde gibt es im Haus in Giverny nur in Reproduktion zu sehen, doch der Blütenzauber ist vom Frühling bis zum Herbst unverändert echt und verschwenderisch. Jetzt bummeln die Besucher zwischen bunten Tulpentupfern. Rosen, Clematis, Margeriten, Sonnenblumen schattieren das Sommerbild. Ehe der Garten sich in Winterruhe begibt, verlocken im Herbst die letzten hochgewachsenen Dahlien dazu, ihre samtigen purpurfarbenen Blüten zu berühren. Der Seerosenteich hüllt sich dann in einen hauchzarten Nebelschleier.