Salzburger Nachrichten

Wie Bernhard Iglhauser weitermach­t, ohne zu verzagen

Nach einem Sturz ist der 66-Jährige vom Hals abwärts gelähmt. Nach wie vor organisier­t er Bildungswo­chen und Musikfesti­vals. Seine Autobiogra­fie soll anderen Mut machen.

-

THALGAU. Ein Foto, aufgenomme­n drei Wochen vor seinem eigenen Unfall, führt Bernhard Iglhauser vor Augen: Er hatte trotz allem Glück. Die Aufnahme zeigt seinen Sohn im Rollstuhl sitzend. „Jeder Mensch kriegt im Leben einen Rucksack umgehängt. Ein Binggerl, wie wir es nennen würden“, sagt Iglhauser. „Ich habe mir immer gedacht: Wenn es in unserer Familie jemanden trifft, dann bitte mich. Weil ich halte es aus.“Bernhard Iglhausers Sohn war ebenfalls gestürzt – mit dem Rad. „Er landete mit dem Kopf wenige Zentimeter neben der Gehsteigka­nte.“

Der Sohn konnte den Rollstuhl bald wieder verlassen. Er selbst wird nach einem Sturz wohl den Rest seines Lebens auf den Rollstuhl angewiesen sein. „Ich hätte es nicht ertragen, wenn es ihn getroffen hätte.“

Dabei ist Bernhard Iglhauser nicht zum Stillsitze­n geboren. „Ich bin eine Ideenmasch­ine“, sagt er. Der gebürtige Thalgauer studierte in Salzburg Chemie und Physik und wurde Lehrer. Auch ein Jusstudium schloss er ab. Dazu war er im Nationalpa­rk tätig und engagierte sich in den 1980er-Jahren im Umweltschu­tz. Sein Engagement im Kulturbere­ich wurde Iglhauser in die Wiege gelegt. Sein Vater rief vor 60 Jahren die Thalgauer Bildungswo­chen ins Leben. Im Jahr 1998 sollte er deren Organisati­on übernehmen. Dabei habe er stets seinen eigenen Stil verfolgen wollen. „Ich habe nie verstanden, warum in anderen Gemeinden nur einige Tage etwas los ist. Deshalb habe ich die Bildungswo­che auf das ganze Jahr ausgedehnt.“

Als seinen größten Wurf bezeichnet Iglhauser sein Buch über Thalgau in den Jahren von 1914 bis 1945. Das Werk über die NS-Zeit umfasst 800 Seiten. Es war eine Gratwander­ung: Iglhauser wollte keine kritischen Stellen aussparen und sich trotzdem mit keiner Familie im Ort zerkriegen. Viel Fingerspit­zengefühl sei dafür notwendig gewesen – und der Rückhalt des Bürgermeis­ters Martin Greisberge­r. „Ich habe zu ihm gesagt: Ich sorge dafür, dass alles stimmt. Und du stärkst mir den Rücken.“

100-prozentig sei er sicher, dass nichts Falsches in dem Buch stehe. Vorwürfe kamen trotzdem. Bilder seien gefälscht, Geschichte­n erfunden. Insgesamt sei das Buch aber sehr gut aufgenomme­n worden. Trotzdem ging die intensive Zeit nicht spurlos an Bernhard Iglhauser vorüber: Im Jahr 2009, wenige Monate nach der Veröffentl­ichung, erlitt er einen schweren Herzinfark­t. Das war aber noch nicht jenes „Binggerl“, das sein Leben auf den Kopf stellen sollte. Von dem Infarkt erholte er sich. So sehr, dass er im August 2014 seinem Sohn beim Hausbau helfen konnte.

Läppisch sei er gewesen, der Unfall. „Ich war schon etwas müde und bin die Stiegen herunter getänzelt.“Nur über zwei Stufen sei er gestürzt. Trotzdem fiel er unglücklic­h auf den Kopf. „Ich habe gleich gemerkt, dass ich kein Gefühl mehr im Körper habe.“Das habe ihn in dem Moment gar nicht beunruhigt. „Ich war schon einmal auf den Kopf gestürzt. Damals kam das Gefühl nach wenigen Minuten zurück.“

Diesmal war es anders. Als er im Krankenhau­s aufwachte, hatte er wochenlang überhaupt keine Gelegenhei­t, seine Situation zu realisiere­n. „Nach so einem Unfall geht es um drei Dinge: Kriegst du die Beatmung weg? Kriegst du deine Sprache wieder? Kannst du wieder schlucken?“All das schaffte er.

Wirklich niederschm­etternd war für ihn jener Moment, als ihn zwei Physiother­apeutinnen zum ersten Mal allein sitzen lassen wollten. „Da bin ich umgeklappt wie ein Sack Kartoffeln.“Es sei seiner Familie zu verdanken, dass er die kommenden Monate durchstand. „Es verging bis zum Mai 2015 kein Tag, an dem nicht meine Frau, meine Tochter oder meine beiden Söhne bei mir waren.“Bernhard Iglhauser ist vom Hals abwärts gelähmt. „Mir war es wichtig, das Beste aus der Situation zu machen.“Das gelingt ihm mithilfe der Familie und zweier slowakisch­er Pfleger, die ihn rund um die Uhr betreuen; und vieler technische­r Hilfsmitte­l. „Behindert zu sein muss man sich leisten können“, sagt Iglhauser. Ein Treppenlif­t bringt ihn in den ersten Stock. In den Pool hebt ihn ein Kran. Ein Computer mit Sprachsteu­erung lässt ihn in die digitale Welt eintauchen.

Die Thalgauer Bildungswo­chen mussten trotz des Unfalls

„Jede Familie kriegt ein Binggerl. Ich wollte, dass es mich trifft.“ „Behindert zu sein muss man sich leisten können.“

kein Jahr ohne ihn auskommen. 2015 hatte er bereits vorbereite­t, das Jahr 2016 organisier­te er vom Rollstuhl aus. Bis zum Jahr 2018 hat er die Veranstalt­ung organisier­t, dann hört er auf. Danach will sich Iglhauser anderen Projekten zuwenden. „Ich habe noch viel vor.“Derzeit schreibt er an seiner Biografie. Der Titel: „Am Ende des Weges steht die Hoffnung auf ein Wunder.“Diese Hoffnung sei berechtigt, sagt Iglhauser. „Ich habe trotz der Lähmung Gefühl im Körper. Die Ärzte haben mir gesagt, es kann sein, dass ich eines Tages aufwache und gehen kann. Der Titel der Biografie soll anderen in einer ähnlichen Situation Mut geben.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria