Studieren ohne Matura
Immer mehr Studenten schaffen es auch ohne höheren Schulabschluss an Uni oder FH. Doch wie kann man überhaupt ohne Matura studieren?
Marco Morandini macht in wenigen Tagen seinen Master in Holztechnologie und Holzwirtschaft an der FH Salzburg. Parallel führt der 31-Jährige das Start-up-Unternehmen Barkinsulation, das aus Baumrinde Weinund Bierkühler herstellt. Und ab Mai wird er als Junior Researcher an der Fachhochschule arbeiten. Eine Matura war für Morandinis beruflichen und zugleich akademischen Werdegang jedoch nicht nötig. „Ich habe Koch gelernt. Aber irgendwann habe ich mir gedacht, dass es mehr geben muss als Küchenfliesen“, sagt der Salzburger. Mit 24 hat sich Morandini entschieden, zu studieren. Bei einer Berufsmesse sei er schließlich über den Bachelorstudiengang „Holztechnologie und Holzbau“gestolpert.
Morandini ist beileibe nicht der einzige Student an Österreichs Hochschulen, der keinen höheren Schulabschluss hat. Von den rund 280.000 Studenten an den heimischen Universitäten haben nach Auskunft der Statistik Austria zumindest 4300 keine Matura. Und die Zahl könnte sogar noch deutlich höher sein: Bei weiteren 2400 Studenten ist sich das statistische Amt nicht sicher. An den Fachhochschulen machen die Studenten ohne Matura grob fünf Prozent aus (2350 von rund 48.000), bei 1200 ist es unklar. Auch der Trend ist unverkennbar – der Anteil wird von Jahr zu Jahr größer: 6,5 Prozent der Studienanfänger im Wintersemester 2015 hatten keine Matura.
Doch wie kann man ohne Matura studieren? Laut Wissenschaftsministerium gibt es drei gängige Wege: eine Berufsreifeprüfung, eine Externistenreifeprüfung und eine Studienberechtigungsprüfung. Dazu kommen Studien an sogenannten postsekundären Bildungseinrichtungen, also Studienrichtungen, bei denen keine Matura nötig ist. Stattdessen wird etwa eine künstlerische Zulassungsprüfung verlangt. Dadurch ist es für Nichtmaturanten auch möglich, an der Uni Mozarteum zu studieren.
Die einzelnen Zugänge zur Hochschulwelt unterscheiden sich deutlich. Für eine Externistenreifeprüfung ist der positive Abschluss der achten Schulstufe nötig. Wer diesen nachweisen kann, muss zunächst Zulassungsprüfungen über alle im Lehrplan vorgesehenen Pflichtfächer der gesamten Oberstufe ablegen – und anschließend noch eine Hauptprüfung bestehen. Wer die Hürden nimmt, hat danach alle Berechtigungen, die eine Matura mit sich bringt.
Auch all jene, die sich für eine Berufsreifeprüfung entscheiden, haben danach dieselben Möglichkeiten wie ein Maturant. Die Berufsreifeprüfung kann während oder nach der Lehre abgelegt werden. Konkret muss man vier Teilprüfungen ablegen: eine Deutsch-Klausur, eine in Mathematik, eine in einer „lebenden Fremdsprache“sowie eine im Fachbereich der Berufsausbildung.
Die Berufsreifeprüfung ist der wohl verbreitetste Weg, ohne Matura zu studieren. Auch Marco Morandini hat es über diesen Zugang an die FH Salzburg geschafft. „Ich habe damals im Carpe Diem gearbeitet (Restaurant in der Getreidegasse, Anm.). Und dankenswerterweise habe ich die Möglichkeit bekommen, auf Bildungskarenz zu gehen.“Und die Karenz hat Morandini nicht nur Zeit gegeben, die Berufsreifeprüfung abzulegen – sie hat ihn auch auf sein Studium vorbereitet. „Durch die Karenz war ich schon im Lernrhythmus“, sagt der Salzburger. Dennoch sei der Übergang vom Berufsleben in den Studienalltag kein einfacher. Der Aufwand sei vor allem am Anfang „eher heftig“, aber durch die Unterstützung von Lehrenden und Mitstudenten werde es schlussendlich doch machbar.
Mit seinen Mitstudenten hat sich Morandini grundsätzlich gut verstanden. Wenngleich der Altersunterschied zu all jenen, die sich direkt nach der Matura für den Hochschulweg entschieden haben, schon spürbar war. „Wenn man mit 18 direkt aus dem Gym kommt, hat man halt noch ein paar Flausen im Kopf. Wer schon älter ist, sitzt eher in der ersten und nicht in der letzten Reihe.“Und wie ansprechend war es finanziell, von einem Vollzeitjob auf ein Vollzeitstudium zu wechseln? Es sei „natürlich schwierig gewesen“, erläutert Morandini. Aber dank eines Selbsterhalterstipendiums und einer geringfügigen Beschäftigung an der FH konnte er sich über Wasser halten.
Ein weiterer Weg, um es ohne Matura an die heimischen Hochschulen zu schaffen, ist die Studienberechtigungsprüfung. Diese ist im Gegensatz zur Berufsreifeprüfung nicht mit einer Matura gleichgestellt – sie befähigt lediglich dazu, einen einzelnen, bestimmten Studiengang zu belegen. Was abverlangt wird, um sich für das jeweilige Studium zu qualifizieren, kann jede Universität autonom entscheiden. Das Grundgerüst der Prüfungen ist aber stets dasselbe: ein Aufsatz zu einem allgemeinen Thema, zwei oder drei Wahlfächer sowie ein oder zwei Pflichtfächer zu Themen des künftigen Studiums.
Das Wissenschaftsministerium hat es sich selbst auf die Fahnen geschrieben, die sogenannten nicht traditionellen Hochschulzugänge zu fördern. Bis 2025 soll die Zahl der Studierenden ohne Matura um ein Drittel wachsen. Ziel sei ein möglichst breiter Zugang zu den Hochschulen, „um Talente und Potenziale aus allen Schichten bestmöglich zu fördern“, erläutert das Wissenschaftsministerium auf SN-Anfrage. Und im Nachsatz wird ergänzt: „Viele Wege führen nach Rom, das soll besonders für den Hochschulzugang gelten. Die Matura ist ein mögliches Ticket, soll allerdings nicht das einzige sein.“
Um den breiten Hochschulzugang zu fördern, werden etwa Informationsangebote verstärkt auf Studierende ohne Matura ausgerichtet. Vor allem jenes Viertel aller Studienanfänger, das nicht sofort nach Schulende mit dem Studium beginnt, werde durch Kooperationen mit Institutionen aus dem Erwachsenen-, Berufsbildungs- und Arbeitsmarktsegment informiert. Es gehe primär darum, Kompetenzen, die beispielsweise in Zusatzkursen und am Arbeitsplatz erworben werden, „verstärkt sichtbar und verwertbar zu machen“.
Auch FH-Student Morandini spricht sich dafür aus, den Umweg zu einem Studium zu protegieren. Der 31-Jährige empfiehlt sogar diese Variante: „Wenn man sich zuerst in der Praxis versucht, weiß man später besser über seine Interessen Bescheid und kann sich leichter für das richtige Studium entscheiden. Und auch der Geldbörse schaden die Arbeitsjahre nicht.“