Klimaklagen nehmen zu
Erstmals in Österreich wurde ein Großprojekt mit dem Hinweis auf den Klimaschutz untersagt. Das Aus für die dritte Piste des Flughafens Schwechat hat hitzige Debatten ausgelöst.
Erstmals in Österreich wurde ein Großprojekt mit dem Hinweis auf den Klimaschutz untersagt. Das hat hitzige Debatten ausgelöst.
Anfang Februar zog das Bundesverwaltungsgericht den Schlussstrich unter eine mehr als ein Jahrzehnt dauernde Auseinandersetzung. Die dritte Piste des Flughafens Wien-Schwechat darf nicht gebaut werden. Der Richtersenat kam zum Schluss, dass das öffentliche Interesse am Klimaschutz höher zu bewerten ist. Der Spruch hat eine heftige Debatte ausgelöst. Die SN sprachen mit dem Grazer Universitätsprofessor und KlimaÖkonomen Karl Steininger. SN: Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter fordert im Namen seiner Amtskollegen, dass die Entscheidung über das Gewicht des öffentlichen Interesses der Politik vorbehalten sein soll. Was halten Sie davon? Steininger: Ich denke, wir sind durch EU-Recht dazu verpflichtet, die Letztentscheidung über die Einhaltung der Gesetze der unabhängigen Justiz zu überlassen. Die Politik kann die Gesetze gestalten und so die Gewichtung setzen. SN: Platter unterscheidet zwischen öffentlichem Interesse und Umweltinteresse. Ist das gerechtfertigt? Klimaschutz liegt durchaus im öffentlichen Interesse. Wir sehen ja, wie stark Österreich durch die Folgen des Klimawandels belastet ist. SN: Wo liegen diese Belastungen? Wo wird es teuer? Die großen Themen sind Naturkatastrophen, insbesondere Hochwasser und Vermurungen. Dann die Landwirtschaft, Gesundheitsschäden und schließlich der Tourismus. Wenn uns der Wintertourismus wegbricht, können wir das nicht so einfach im Sommer wettmachen. Aber es gibt auch positive Effekte; weniger Heizkosten etwa und eine längere Vegetationsperiode in der Landwirtschaft. SN: Wie hoch werden die Schäden in Österreich durch die Klimaerwärmung geschätzt? Auf vier bis acht Mrd. Euro pro Jahr – das ist gerechnet ab 2050, aber bei einem geringeren Erwärmungsszenario, als wir es mittlerweile haben. SN: Es gibt eine fast reflexartige Reaktion des offiziellen Österreich auf Klimaschutz: Er kostet Arbeitsplätze. Stimmt das? Es geht darum, dass wir ja Arbeitsplätze und Wirtschaftsstandort langfristig sichern wollen. Wir müssen uns überlegen, in welchen Bereichen wir Arbeitsplätze haben wollen. Da gibt uns der Klimaschutz einen Hinweis, wo wir innovativ sein sollen und müssen, um den Standort Österreich zu erhalten. Bei der Batterietechnologie etwa laufen uns Europäern die USA und China schon wieder davon. Für mich ist Klimaschutz ein Indikator, der uns darauf hinweist, wo wir unsere Wirtschaftsstrukturen anpassen müssen. So kann es möglicherweise kurzfristig zu einem Verlust von Arbeitsplätzen bei einem konkreten Projekt kommen. Aber kurzfristig zu denken hilft uns nicht. Die Gefahr von stranded investments, also von verlorenen Investitionen, ist erheblich. SN: Das Gericht weist in seinem Schwechater Spruch darauf hin, dass durch die Zunahme des Flugverkehrs infolge einer dritten Piste Österreichs Emissionen um zwei Prozent steigen würden. Die Gegner sagen, das sei falsch gerechnet. Der Großteil der Flugstrecken verlaufe gar nicht über österreichischem Staatsgebiet. Österreich meldet sehr wohl die Ge- samtemissionen an die UN-Klimakonvention. In unserer Klimabilanz scheinen aber nur die innerösterreichischen Flüge auf. Aber da wir das Klimaabkommen von Paris unterzeichnet und ratifiziert haben, geht es auch darum, mitzuwirken, dass globale Emissionen absinken. SN: Sie sprechen in der Stellungnahme zum Urteil, die von mehr als 60 heimischen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern unterzeichnet wurde, auch von einem Dilemma in der Interessenabwägung. Was meinen Sie damit? Dass gerade mit einem konkreten Projekt, wie hier der dritten Piste, sehr wohl Arbeitsplätze verbunden sind. Die Schäden aber fallen ganz woanders an und wir wissen beispielsweise nicht, welches Hochwasser dadurch mehr kommt und wer betroffen ist. Das eine weiß ich konkret, das andere ist ein allgemeines Ziel, von dem wir insgesamt gerade in Österreich gut daran tun, es zu erreichen. Wir haben den umfassenden Umweltschutz ja auch in unserer Verfassung, ebenso übrigens in der niederösterreichischen Landesverfassung. SN: Wie soll es nun weitergehen? Österreich sollte vor allem mit seiner Klimastrategie vorankommen. Wir haben keine Emissionsziele über 2020 hinaus festgeschrieben. Es gibt keine Zielpfade bis 2030 und 2050, auf die sich die Wirtschaft wiederum verlassen könnte. SN: Interessiert sich die österreichische Politik überhaupt für den Klimaschutz? Das ist verschieden. Es gib Politiker, die sehr interessiert sind, es gibt andere. Das Faktum aber, dass wir keinerlei Klimaziele über 2020 hinaus haben und dass sich seit dem Abkommen von Paris kaum etwas in diese Richtung bewegt hat, legt den Schluss nahe, dass hier noch deutlich Potenzial nach oben ist. SN: Klimaschutz ist mit der Entscheidung über Schwechat erstmals vor Gericht gelandet. Ist Österreich hier Vorreiter? Was immer mehr in anderen Ländern zu beobachten ist, sind Klimaklagen. In den Niederlanden und den USA, auch in der Schweiz. Es geht um Schäden, die durch den Klimawandel entstehen. Eingefordert wird, diese Schäden zu vermeiden. Auch im Schwechater Spruch haben die Richter ja mit den Schäden argumentiert, die entstehen; gesundheitlich, aber auch für die Wirtschaft. Und dass es im öffentlichen Interesse liegt, die Schäden zu vermeiden. Diese Klagen werden weiter zunehmen, weil auch die Klimaschäden zunehmen. SN: Wer also einen Schaden durch den Treibhauseffekt erleidet, klagt das Handeln der Politik ein? Ja, so ist es. Es wird gesagt, das ist Aufgabe der Politik. Wir wissen mittlerweile, dass wir den Klimawandel verursachen und dass er Schäden verursacht. Es ist daher Pflicht der Politik, uns zu schützen und letztlich Klimaschutz zu betreiben. In den Niederlanden hat ein Erstgericht den Staat bereits verpflichtet, effektivere Vorkehrungen gegen den Klimawandel zu treffen. Die Sache ist nun in der Instanz. Die Niederlande haben berufen.
Karl Steininger ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Graz. Sein Schwerpunkt liegt in der Erforschung der wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels. Karl Steininger ist Forschungsgruppenleiter am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz. Er hat weltweit mehr als 100 Publikationen veröffentlicht und ist Träger des Forschungspreises der Steiermark 2016.