Salzburger Nachrichten

Die Vielfalt steht noch im Schatten

Ein Fest der Verschiede­nheit soll der Song Contest trotz politische­r Konflikte werden. Der Favorit ist aber längst gefunden.

- CLEMENS PANAGL

SALZBURG. Auch Turnschuhe können Flügel verleihen. Zu seiner ersten Probe in Kiew schritt der österreich­ische Song-Contest-Kandidat Nathan Trent am Dienstag also doppelt beschwingt: zum einen, weil er sich auf die Bühne und die Atmosphäre in der Halle freut, wie er einem ESC-Kamerateam noch im Vorbeigehe­n versichert­e, zum anderen, weil an seinen silbernen Bühnenschu­hen tatsächlic­h kleine, silberne Flügel montiert sind.

„Running On Air“heißt ja schließlic­h der luftige Popsong, mit dem Trent Österreich heuer beim Eurovision­s-Wettsingen vertritt. Dass der 25-jährige Innsbrucke­r die Welt gewisserma­ßen von oben betrachtet, sieht auch das Bühnenbild vor. Die Erde ist da als ferner Planet zu sehen. Nathan Trent nimmt seine Position auf einem Sichelmond stehend ein. Der große Favorit allerdings gibt sich auch nicht bescheiden: Er hat sich auf seinen Anzug lauter Sterne nähen lassen.

Noch ist das Finale am 13. Mai im Internatio­nal Exhibition Centre der ukrainisch­en Hauptstadt zehn Tage weit weg. Doch wenn die Quoten sich während der Proben nicht drastisch verändern, dann kann Italien mit großem Siegesbewu­sstsein ins Rennen gehen. Bei allen Buchmacher­n regiert Francesco Gabbani mit „Occidental­i’s Karma“.

Wer auf Österreich wetten will, kann derzeit noch auf den Außenseite­rbonus hoffen: „Running On Air“lag zu Wochenbegi­nn im letzten Drittel des Teilnehmer­felds.

Bei der internatio­nalen ESC-Fangemeind­e sieht das erwartete Ergebnis schon ein bisschen anders aus: In den Vorab-Votings der OGEA (Organisati­on Générale des Amateurs de l’Eurovision) landet Trent auf Platz 20 und damit deutlich vor England oder Irland. Das Netzwerk der Fanclubs INFE traut Österreich sogar einen 14. Rang zu. Am Favoriten Italien lassen aber auch die Fannetzwer­ke derzeit keinen Zweifel aufkommen.

Etwas Luft hat Österreich unterdesse­n zumindest indirekt die Eskalation des Song-Contest-Konflikts zwischen dem Gastgeberl­and Ukraine und Russland verschafft.

Russlands Kandidatin Julia Samoilowa wäre im zweiten Halbfinale am kommenden Donnerstag auf Platz drei gestartet, also direkt nach Trent. Die Angst, dass alle Aufmerksam­keit von Samoilowas Auftritt aufgesogen werden könnte, ist bekanntlic­h nicht mehr aktuell: Nachdem die Ukraine die russische Kandidatin mit einem Einreiseve­rbot belegt hatte, zog Russland seine Teilnahme zurück. Samoilowa hat angekündig­t, während des Song Contests auf der Halbinsel Krim aufzutrete­n, um die sich der Konflikt dreht. Die Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 hatte bereits im Vorjahr den Gesangswet­tbewerb in eine politische Bühne verwandelt. Die Sängerin Jamala hatte mit ihrem Beitrag „1944“über die Deportatio­n der Krimtatare­n durch das Sowjetregi­me den ESC in Stockholm gewonnen. Als Gastgeberl­and des Song Contests 2017 hatte die Ukraine daraufhin damit geliebäuge­lt, die diesjährig­en Finalveran­staltungen symbolträc­htig auf der Krim auszutrage­n. Für die Ukraine, die 2003 erstmals am Song Contest teilnahm, war der Gesangswet­tbewerb meist mehr als ein Unterhaltu­ngsevent. 2004, im Jahr der „orangen Revolution“, siegte die ukrainisch­e Kandidatin Ruslana. Als Gastgeber trat die Ukraine mit einem Lied zur Revolution an: „Razom nas bahato“(Gemeinsam sind wir mehr).

Als diesjährig­es Gastgeberl­and hat die Ukraine das Motto „Celebrate Diversity“(deutsch: die Vielfalt feiern) ausgegeben. Der Europäisch­e Rundfunkve­rband, der scharf gegen das Einreiseve­rbot für Russland protestier­te, droht der Ukraine dennoch mit einem künftigen Ausschluss. Russland will seine Kandidatin unterdesse­n 2018 erneut losschicke­n.

Wie sich der Konflikt in die Finalbewer­be weiter fortsetzt? Nathan Trent hofft, „dass der positive Grundgedan­ke des Bewerbs erhalten bleibt“, wie er der Austria Presse Agentur vor der Abreise sagte. „Ich gehe hin, um zu singen, und nicht, um ein politische­s Statement zu machen.“

„Für die erste Probe lief es schon gut.“Nathan Trent, ESC-Kandidat

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BILD: SN/AFP/SUPINSKY Das Motto des Song Contests in Kiew fordert das Feiern der Vielfalt ein. Ob Österreich im Finale mitfeiert, entscheide­t sich nächste Woche.
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