Rat mal, wer zum Morden lädt
Rassismus ist zum Fürchten. Die Horrorsatire „Get Out“zeigt das grauenvoll präzise – und lockt damit als Überraschungserfolg Hunderttausende ins Kino.
WIEN. Der hippe afroamerikanische Fotograf Chris (gespielt vom Briten Daniel Kaluuya) soll zum ersten Mal das Wochenende bei den reichen Eltern seiner weißen Freundin Rose (Allison Williams) verbringen.
Schön – aber wissen die eigentlich, dass er schwarz ist? So aufgeschlossen Chris’ Umfeld meistens ist, die extragenaue Nachfrage bei jeder Verkehrskontrolle, den prüfenden Blick von jedem weißen Gegenüber nur aufgrund seiner Hautfarbe, das alles kennt er zu gut.
Aber Rose lacht ihn aus: Ihre Eltern, die sind doch total liberal! So beginnt „Get Out“(ab heute, Donnerstag, im Kino), ein anfangs beklemmend realistisches Horrorszenario aus Alltagsrassismen, das im letzten Drittel in überspitzte Gruselsatire eskaliert. Regie hat Jordan Peele geführt, die eine Hälfte des erfolgreichen Comedy-Duos Key & Peele, es ist sein Regiedebüt, das gerade einmal 4,5 Millionen Dollar gekostet hat. Und abgesehen von Catherine Keener als Chris’ Schwiegermutter spielt hier weit und breit kein Star mit. Blockbuster normalerweise anders aus.
Trotzdem lief „Get Out“in den USA wochenlang sensationell erfolgreich und hat mit über 100 Millionen Dollar Umsatz schon am Startwochenende prominentere Filme weit hinter sich gelassen.
Ganz offensichtlich trifft der Film einen Nerv, vielleicht einen ähnlichen wie der Oscarpreisträgerfilm „Moonlight“über einen sehen schwulen afroamerikanischen Buben: Auch „Get Out“berichtet davon, wie sich die USA 2017 für Menschen anfühlen, die nicht zur weißen Mittelschicht gehören. Und solche Geschichten sind im Unterhaltungskino immer noch selten.
Die Prämisse von Peeles Film erinnert frappierend an einen anderen, der vor exakt 50 Jahren liberale US-amerikanische Haushalte aufrüttelte: In „Rat mal, wer zum Essen kommt“ist es der schwarze Vorzeigeschwiegersohn Sidney Poitier, der seine Freundin zu ihren Eltern Katharine Hepburn und Spencer Tracy begleitet. Die beiden verehren selbstverständlich Martin Luther King, doch angesichts eines schwarzen Familienmitglieds packen sie auf einmal ihre allerprimitivsten Vorurteile aus.
Wo Stanley Kramers Film 1967 mit den Mitteln von Drama und Komödie aus Sicht der Schwiegereltern deren eigenen Rassismus für ein mehrheitlich weißes Publikum entlarvte, ist der „Get Out“-Horror durchwegs aus Chris’ Perspektive erzählt, peinlich präzis beobachtet.
Und mit einem Mal beginnt noch der vernageltste Weiße leise zu ahnen, was es bedeutet, die einzige nicht weiße Person im Raum zu sein, unweigerlich auf Obamas Präsidentschaft angesprochen zu werden, sich die Beteuerungen des Schwiegervaters anzuhören, das schwarze Dienstpersonal sei praktisch Teil der Familie – und im Übrigen, wie großartig damals der Sieg des schwarzen Läufers Jesse Owen über die Nazi-Konkurrenz bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin war.
Die Auflösung des Films ist blutiger, subversiver Klamauk mit einer kräftigen Prise „Stepford Wives“, doch auch wenn „Get Out“gegen Ende an Tempo verliert, treibt Jordan Peele den Horror nur vordergründig auf die Spitze der Albernheit.
Dahinter lauern real grauenerregende Motive von weißen Ansprüchen nicht nur auf afroamerikanische Arbeitskraft, sondern ganz wörtlich auf schwarze Körper. „Get Out“vergisst nie, dass es genau dieser Rassismus, genau diese Menschenverachtung ist, die über Jahrhunderte tödlich waren und sind, und ist insofern in seiner gesellschaftspolitischen Symbolkraft kaum zu unterschätzen.
Und wenn am Ende erleichtertes Gelächter steht, ist das nur ein Ventil für eine Angst, die immer noch erschütternd real ist.