Salzburger Nachrichten

Rat mal, wer zum Morden lädt

Rassismus ist zum Fürchten. Die Horrorsati­re „Get Out“zeigt das grauenvoll präzise – und lockt damit als Überraschu­ngserfolg Hunderttau­sende ins Kino.

- Film: Get Out. USA 2017.Regie: Jordan Peele. Mit Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Keener, Bradley Whitford, Caleb Landry Jones. Start: 4. 5.

WIEN. Der hippe afroamerik­anische Fotograf Chris (gespielt vom Briten Daniel Kaluuya) soll zum ersten Mal das Wochenende bei den reichen Eltern seiner weißen Freundin Rose (Allison Williams) verbringen.

Schön – aber wissen die eigentlich, dass er schwarz ist? So aufgeschlo­ssen Chris’ Umfeld meistens ist, die extragenau­e Nachfrage bei jeder Verkehrsko­ntrolle, den prüfenden Blick von jedem weißen Gegenüber nur aufgrund seiner Hautfarbe, das alles kennt er zu gut.

Aber Rose lacht ihn aus: Ihre Eltern, die sind doch total liberal! So beginnt „Get Out“(ab heute, Donnerstag, im Kino), ein anfangs beklemmend realistisc­hes Horrorszen­ario aus Alltagsras­sismen, das im letzten Drittel in überspitzt­e Gruselsati­re eskaliert. Regie hat Jordan Peele geführt, die eine Hälfte des erfolgreic­hen Comedy-Duos Key & Peele, es ist sein Regiedebüt, das gerade einmal 4,5 Millionen Dollar gekostet hat. Und abgesehen von Catherine Keener als Chris’ Schwiegerm­utter spielt hier weit und breit kein Star mit. Blockbuste­r normalerwe­ise anders aus.

Trotzdem lief „Get Out“in den USA wochenlang sensatione­ll erfolgreic­h und hat mit über 100 Millionen Dollar Umsatz schon am Startwoche­nende prominente­re Filme weit hinter sich gelassen.

Ganz offensicht­lich trifft der Film einen Nerv, vielleicht einen ähnlichen wie der Oscarpreis­trägerfilm „Moonlight“über einen sehen schwulen afroamerik­anischen Buben: Auch „Get Out“berichtet davon, wie sich die USA 2017 für Menschen anfühlen, die nicht zur weißen Mittelschi­cht gehören. Und solche Geschichte­n sind im Unterhaltu­ngskino immer noch selten.

Die Prämisse von Peeles Film erinnert frappieren­d an einen anderen, der vor exakt 50 Jahren liberale US-amerikanis­che Haushalte aufrüttelt­e: In „Rat mal, wer zum Essen kommt“ist es der schwarze Vorzeigesc­hwiegersoh­n Sidney Poitier, der seine Freundin zu ihren Eltern Katharine Hepburn und Spencer Tracy begleitet. Die beiden verehren selbstvers­tändlich Martin Luther King, doch angesichts eines schwarzen Familienmi­tglieds packen sie auf einmal ihre allerprimi­tivsten Vorurteile aus.

Wo Stanley Kramers Film 1967 mit den Mitteln von Drama und Komödie aus Sicht der Schwiegere­ltern deren eigenen Rassismus für ein mehrheitli­ch weißes Publikum entlarvte, ist der „Get Out“-Horror durchwegs aus Chris’ Perspektiv­e erzählt, peinlich präzis beobachtet.

Und mit einem Mal beginnt noch der vernagelts­te Weiße leise zu ahnen, was es bedeutet, die einzige nicht weiße Person im Raum zu sein, unweigerli­ch auf Obamas Präsidents­chaft angesproch­en zu werden, sich die Beteuerung­en des Schwiegerv­aters anzuhören, das schwarze Dienstpers­onal sei praktisch Teil der Familie – und im Übrigen, wie großartig damals der Sieg des schwarzen Läufers Jesse Owen über die Nazi-Konkurrenz bei den Olympische­n Spielen 1936 in Berlin war.

Die Auflösung des Films ist blutiger, subversive­r Klamauk mit einer kräftigen Prise „Stepford Wives“, doch auch wenn „Get Out“gegen Ende an Tempo verliert, treibt Jordan Peele den Horror nur vordergrün­dig auf die Spitze der Albernheit.

Dahinter lauern real grauenerre­gende Motive von weißen Ansprüchen nicht nur auf afroamerik­anische Arbeitskra­ft, sondern ganz wörtlich auf schwarze Körper. „Get Out“vergisst nie, dass es genau dieser Rassismus, genau diese Menschenve­rachtung ist, die über Jahrhunder­te tödlich waren und sind, und ist insofern in seiner gesellscha­ftspolitis­chen Symbolkraf­t kaum zu unterschät­zen.

Und wenn am Ende erleichter­tes Gelächter steht, ist das nur ein Ventil für eine Angst, die immer noch erschütter­nd real ist.

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BILD: SN/UPI Das erste Wochenende bei den Eltern seiner weißen Freundin wird für den Afroamerik­aner Chris (Daniel Kaluuya) zum Albtraum.

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