Salzburger Nachrichten

Weltkriegs­bomben sind doppelt gefährlich

In Hannover werden 13 Blindgänge­r geborgen. 50.000 Einwohner sind betroffen. Wie viel explosive Kriegsreli­kte stecken in heimischen Böden?

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Am kommenden Samstag wird in Hannover der Zweite Weltkrieg allgegenwä­rtig sein. 50.000 Menschen müssen ihre Häuser verlassen und sich in Sicherheit bringen. Geschätzt 13 Bombenblin­dgänger sollen entschärft werden. Es herrscht höchste Gefahrenst­ufe. Fest steht, dass in der Erde der niedersäch­sischen Landeshaup­tstadt noch jede Menge hochexplos­ives Material schlummert. Denn allein beim schwersten Bombenangr­iff auf Hannover in der Nacht auf den 9. Oktober 1943 wurden 261.000 Bomben abgeworfen. Die Entminungs­dienste haben auch mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs alle Hände voll zu tun – auch in Österreich.

Die Statistike­n der Jahresberi­chte des Bundesheer­es lassen erahnen, wie viele Blindgänge­r, die je nach Größe zwischen einem und 500 Kilogramm wiegen, nach wie vor unter Straßen, Grünanlage­n, Häusern, Bahnhöfen und Fabriken liegen. Oder im Schlamm von Flüssen und Seen stecken. Von 2009 bis 2016 wurden rund 600 Bomben und 22.000 Granaten geborgen. Hinzu kommen jährlich Tausende Kilogramm Munition. Allein 2016 kamen 39 Panzerfäus­te ans Tageslicht. Taucher holten im Vorjahr aus Ossiacher See, Attersee, Ottenstein­er Stausee, dem Mannersdor­fer Teich sowie aus den Flüssen Enns, Mürz und Ybbs 8,6 Tonnen Kriegsmate­rial. Die Alpingrupp­e brachte von den Karawanken­gipfeln 325 Kilogramm Patronen und Sprengstof­f aus dem Ersten Weltkrieg ins Tal. So kamen in acht Jahren insgesamt 235 Tonnen zusammen. 8100 Mal mussten die Experten vom Entminungs­dienst in Summe ausrücken. Dabei legten sie mehr als 2,1 Millionen Kilometer zurück. Die Kosten pro Einsatz? „Schwer zu sagen. Es reicht vom Geld fürs Benzin unserer Autos bis hin zu Straßenspe­rren, Umleitunge­n und Evakuierun­gen. Das macht dann aber alles die Polizei“, sagt Bundesheer-Sprecher Oberst Michael Bauer.

Blindgänge­r bergen aber noch eine weitere Gefahr. Davon sind all jene betroffen, die auf ihrem Privatgrun­dstück fündig werden. Denn für die Kosten von Bergung und Ent- schärfung müssen sie ganz allein aufkommen. Und das kann teuer werden. Vor einigen Jahren musste eine Salzburger­in 100.000 Euro aus eigener Tasche bezahlen. Deshalb hatte das Innenminis­terium schon Anfang 2008 einen Gesetzesen­twurf eingebrach­t. Dieser sah vor, dass der Bund in existenzbe­drohenden Fällen 35 Prozent der Kosten (maximal 35.000 Euro) übernimmt. Doch daraus wurde nichts. Kostenlos ist die Bergung lediglich dann, wenn der Entminungs­dienst von sich aus tätig wird.

Nach dem Abtranspor­t werden Bomben meist am Truppenübu­ngsplatz Allentstei­g durch eine kontrollie­rte Detonation vernichtet. Munition wird in Brennöfen ausgeglüht und anschließe­nd wiederverw­ertet. Zu Zwischenfä­llen kam es bisher selten. Zuletzt am 17. Juli 2003, als in Salzburg bei der Entschärfu­ng einer amerikanis­chen Fliegerbom­be zwei Entschärfe­r getötet wurden.

In Hannover geht man am Samstag auf Nummer sicher: Sieben Altersund Pflegeheim­e, eine Klinik sowie ein Reifenwerk werden geräumt. Hunderte Krankenwag­en und Feldbetten sowie Zehntausen­de Portionen Suppe stehen bereit.

235 Tonnen Bomben und Granaten in acht Jahren

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BILD: SN/ROBERT RATZER Fliegerbom­ben aus dem Zweiten Weltkrieg wiegen bis zu einer halben Tonne.

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