Salzburger Nachrichten

Für sie beginnt das Abenteuer Biennale

Christa Steinle hat die Künstler für den Österreich-Pavillon der Biennale in Venedig ausgewählt. Ein Ehre, aber auch ein echter Fulltime-Job. Am Projekt machen auch syrische Frauen mit.

- Menschen hinter Schlagzeil­en

„Der österreich­ische Beitrag wird auffallen. Eine Arbeit könnte das beliebtest­e Selfiemoti­v werden.“

Der aktuelle Arbeitsauf­wand ist enorm. „Ich habe Sechs-Tage-Wochen, zum Schlafen bleibt kaum Zeit“, berichtet die Grazer Kunsthisto­rikerin Christa Steinle, Kommissäri­n für den österreich­ischen Pavillon auf der heurigen Kunstbienn­ale in Venedig, die am kommenden Samstag eröffnet wird. Die Arbeiten und Kataloge der von ihr ausgewählt­en Künstler – Erwin Wurm und Brigitte Kowanz – sind zwar fertig, Christa Steinle ist aber auch für alle organisato­rischen Details zuständig. „Eigentlich bin ich eine Eventmanag­erin, ich kümmere mich um die Tischkarte­n beim Sponsoren-Diner, darum, wer den Rasen vor dem Pavillon mäht, auch das Organisier­en von Shuttleboo­ten oder des Reinigungs­dienstes gehört zu meinem Aufgabenge­biet“, sagt die ehemalige Leiterin der Neuen Galerie Graz. Den Job für Venedig möchte sie freilich nicht missen: „Es ist etwas ganz Besonderes und eine große Ehre, wenn man an diesem geschichts­trächtigen Ort eine Ausstellun­g organisier­en darf.“

Die 57. Kunstbienn­ale von Venedig. Ein Tummelplat­z für Kunstfreun­de, Künstler, Selbstdars­teller, Sammler, Adabeis, Galeristen und Museumsleu­te. Die Weltkunsts­chau expandiert weiter, 85 Länderpavi­llons und rund zwei Dutzend Rahmenauss­tellungen ergänzen die von Christine Macel kuratierte Hauptausst­ellung „Viva Art Viva“, an der 120 Kunstschaf­fende mitmachen. Bei diesem Überangebo­t ist es wichtig, nicht in der Masse unterzugeh­en und einen bleibenden Eindruck zu hinterlass­en. „Ich bin ziemlich zuversicht­lich, dass der österreich­ische Beitrag auffallen wird, eine Arbeit könnte zum beliebtest­en Selfiemoti­v der Biennale werden“, sagt Christa Steinle, die noch keine Details über die ausgestell­ten Kunstwerke verraten darf. Nur so viel: „Mir ging es um den erweiterte­n Skulpturen­begriff. Sowohl Erwin Wurm als auch Brigitte Kowanz greifen in ihren Arbeiten virulente Themen der Gegenwart auf.“Mit dem zur Verfügung gestellten Budget von 400.000 Euro wäre Steinle nicht ausgekomme­n, sie hat in Eigenregie weitere 400.000 Euro aufgestell­t und ohne zusätzlich­es massives Sachsponso­ring wäre das ganze Projekt nicht realisierb­ar gewesen. Zur Abwicklung des Abenteuers Biennale hat die Grazerin eine ARGE gegründet. „Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich am Ende meiner Karriere noch eine Firma werde“, sagt Steinle mit einem Lächeln.

Christa Steinle, die eigentlich Archäologi­n werden wollte, war vom Kunsthisto­riker Wilfried Skreiner in die Neue Galerie geholt worden, später hat sie eine zwanzigjäh­rige Zusammenar­beit mit Peter Weibel nachhaltig geprägt. Sie hat unter anderem in Kairo, Frankfurt, Budapest und Madrid Ausstellun­gen kuratiert, ihre letzte Ausstellun­g in Graz war eine sehr gut besuchte Personale der Tiermaleri­n Norbertine Bresslern-Roth. Und Venedig? Ist da ein lang ersehnter Traum in Erfüllung gegangen? „Ich wurde schon vor zwölf Jahren gebeten, ein Konzept für den Österreich-Pavillon abzugeben, auch damals wäre Erwin Wurm mit dabei gewesen“, sagt die Kunsthisto­rikerin. Damals wäre der Steirer Wurm noch nicht der große Star gewesen. Jetzt sei es schon „dringend notwendig gewesen“, Wurm in Venedig zu zeigen, sagt Steinle und antwortet damit auch jenen Kritikern, die ihr vorwerfen, dass es besser gewesen wäre, Brigitte Kowanz allein die Ausstellun­g bespielen zu lassen. Hintergrun­d dafür: Noch nie war eine Künstlerin allein für den Österreich-Pavillon nominiert worden. „Ich habe mich bewusst für die Geschlecht­er-Parität entschiede­n und wundere mich, dass ich angegriffe­n werde, nicht aber jene Kommissäre und Kommissäri­nnen, die sich in der Vergangenh­eit ausschließ­lich für Männer entschiede­n haben.“

Feilen an der Eröffnungs­rede, Interviews geben und ständig telefonier­en: So sieht Christa Steinles Alltag derzeit aus, ab heute, Montag, ist sie vor Ort in Venedig. Gemeinsam mit ihrem fünfköpfig­en Team steht ihr eine anstrengen­de Woche bevor. In der Lagunensta­dt dreht sich nicht immer alles um Kunst, auch die Seitenblic­ke-Gesellscha­ft will versorgt werden. Für nicht wenige ist es wichtiger, eine exklusive Partyeinla­dung zu erhalten, als Kunst zu konsumiere­n. „Eigentlich ist die alle fünf Jahre stattfinde­nde documenta aus kunsthisto­rischer Sicht die wichtigere Kunstschau“, betont die Grazerin. Venedig mutiere immer mehr zu einer nationalen Leistungss­chau, fast schon vergleichb­ar mit dem Eurovision­s-Songcontes­t. Immer mehr, immer größer, immer spektakulä­rer. Wann für Christa Steinle das Projekt Biennale als gelungen einzustufe­n ist? „An erster Stelle rangiert für mich die Zufriedenh­eit der Künstler“, sagt Steinle. Diese müssten ihre Visionen realisiere­n können. Dass es zwischen Erwin Wurm und Brigitte Kowanz in der Vorbereitu­ng der Ausstellun­g auch Reibungsfl­ächen gegeben habe, bestreitet die Kommissäri­n nicht. Dies sei aber so üblich, wenn Alphatiere aufeinande­rtreffen. Mittlerwei­le habe sich aber alles in eine Zufriedenh­eit gewandelt. Mit einer Auszeichnu­ng in Venedig – also der Verleihung eines Goldenen Löwen – könne man, so Steinle, nicht rechnen. Aber: „Verdienen würden es sich Brigitte Kowanz und Erwin Wurm schon.“

Erfreut zeigt sich Steinle über eine Zusammenar­beit mit einem Flüchtling­shilfeproj­ekt der Grazer Kunstinsti­tution Werkstadt Graz. Syrische Frauen haben 500 Leinentasc­hen („Kleiderwer­kBiennale-Bag“) genäht, die Besucher der Biennale erhalten, wenn sie die Kataloge zum Österreich­Beitrag erwerben. Das Engagement für die Biennale endet bei Christa Steinle („Österreich ist ein politische­r Kleinstaat, aber eine große Kulturnati­on“) im März 2018. Dann sei alles abgerechne­t, auch die ARGE werde aufgelöst. Und dann? Sie habe einige Angebote, Ausstellun­gen zu kuratieren, aber sie müsse sich nach Venedig alles noch einmal gründlich überlegen.

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BILD: SN/LA BIENNALE (ULRIKE RAUCH) Christa Steinle in ihrer Wohnung vor einem Kunstwerk von Michael Kienzer.
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