Wie viel Alkohol ist nicht mehr „normal“?
Das „normale“Trinkmuster lässt sich sehr genau von krank machendem Alkoholkonsum unterscheiden. Jüngste Erkenntnisse der Wissenschaft sehen die vertretbare Menge immer geringer.
Wenn man anfängt zu trinken, um sich zu beruhigen, um zu vergessen, um den Alltag leichter zu bewältigen, sollten die Alarmglocken läuten. Denn ein solcher Trinkmodus gilt nicht mehr als „normal“. Seit Kurzem neigt die Wissenschaft dazu, die erlaubte Menge Alkohol immer weiter zu senken.
In der Praxis werde ich immer wieder gefragt, wie viel man denn trinken dürfe, ohne als Alkoholiker zu gelten. Meine Antwort ist immer wieder die gleiche: „Das kommt darauf an.“
1. Was die Wissenschaft als „normales“Trinkmuster beschreibt
Das Trinken an sich ist eine kulturell und gesellschaftlich akzeptierte Form des Genusses von Alkohol. Das bedeutet aber auch, dass gesellschaftliche Normen vorgeben, wie man sich zu verhalten hat, wenn man trinkt, was man trinkt oder auch wie viel man trinkt. Der kleine „Schwips“oder der „Damenspitz“ist dabei die äußerste Grenze. Geregelt ist auch, wann man trinkt: meist in einer Gesellschaft.
Das ist also das „normale“Trinkmuster. Normal ist es auch, dass man zu gewissen Speisen verschiedene Arten von Alkoholika konsumiert, zum Beispiel als Aperitif, zum Hauptgang oder zum Dessert. Anschließend wird üblicherweise zur Unterhaltung auch nochmals „ausgeschenkt“.
2. Alles andere ist bereits ein „dysfunktionaler“Trinkmodus
Wenn dieses normale Trinkmuster sich verändert, befindet man sich bereits in einem „dysfunktionalen“Trinkmodus. Man trinkt, um sich zu beruhigen, man trinkt, um zu vergessen, man trinkt, um den Alltag leichter zu bewältigen. Suchtmediziner sprechen daher von einem dysfunktionalen Gebrauch, da der Alkohol bereits als Ersatz für andere Tätigkeiten oder als Medikation verwendet wird.
Der nächste Abschnitt auf dem Weg in die Sucht ist schließlich der schädliche Gebrauch. Dies bedeutet, dass der Hausarzt bei einer Routineuntersuchung eindeutige Hinweise aus dem Blutlabor erhält, dass Alkohol seine schädliche Wirkung („Die Dosis macht das Gift“) im Körper entfalten kann. Wenn dieser Zustand lange genug anhält, ist es möglich, in diesem Stadium durch Alkohol zu versterben, da die Schäden an den Organen bereits so fortgeschritten sind, dass diese eines Tages versagen. Alkohol wirkt an allen Zellen des Körpers, das sollte man sich vor Augen halten.
3. Wer mit dem Trinken nicht aufhören kann, kommt ohne Therapie nicht los
Eine Abhängigkeit von Alkohol ist schließlich gegeben, wenn man das Trinken nicht beenden kann, ohne unangenehme körperliche oder seelische Erscheinungen (sog. Entzugserscheinungen) zu bekommen. Hier gilt auch bereits, wie beschrieben, die „Abhängigkeit im Kopf“! Typischerweise verspürt man den Zwang, Alkohol zu konsumieren, das Belohnungsgedächtnis ruft sich in Erinnerung und möchte ein positives Feedback, das nur durch die Einnahme von noch mehr Alkohol zu befriedigen ist. Schließlich reagiert auch der Körper auf fehlende Alkoholzufuhr mit Rebellion: Der Blutdruck steigt an, es entsteht eine massive Stresssituation, man fühlt sich so, als ob man einen schweren Infekt und eine schwere Prüfung gleichzeitig vor sich hätte. Hier ist eine Grenze erreicht, die ohne Therapie mit Sicherheit in den Abgrund, in den Tod führt. Menschen mit Alkoholabhängigkeit müssen, wenn sie sich zu einer Therapie entschlossen haben, damit leben, dass sie ihr ganzes Leben lang völlig auf Alkohol verzichten müssen.
4. Alkoholabhängigkeit ist eine Erkrankung im engeren Sinne
Alkoholabhängigkeit ist keine Charakterschwäche, sondern eine Erkrankung im engeren Sinne. Wer einen trockenen alkoholkranken Menschen zum neuerlichen Alkoholkonsum nötigt, handelt wie jemand, der bewusst jemand anderen verletzt. In Österreich gelten zirka 370.000 Menschen als alkoholkrank und zirka 760.000 Österreicherinnen und Österreicher konsumieren Alkohol in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß.
Die „unbedenkliche“Trinkmenge war in der Wissenschaft bis zum heutigen Tage Mittelpunkt zahlreicher Untersuchungen. 5. Die Grenzwerte für die „unbedenkliche“Trinkmenge werden schärfer Galten bis vor wenigen Jahren noch 50 bis 60 Gramm Reinalkohol am Tag für Männer als obere Grenze, so sind es jetzt 20 bis 25 Gramm. Bei Frauen waren es bis vor einigen Jahren 25 bis 40 Gramm Reinalkohol pro Tag. Die Gender-Medizin hat jedoch deutlich gezeigt, dass Frauen auch bei Alkohol sensibler sind. So sind heute 15 bis 20 Gramm Alkohol pro Tag die obere Grenze für Frauen. Tendenz weiter fallend. Französische Forscher haben herausgefunden, dass 13 Gramm Alkohol für Männer und Frauen gleichermaßen das vertretbare Maximum bilden. Die erste „Österreichische Dialogwoche Alkohol“dauert noch bis 21. Mai. Die Initiative will anregen, über Alkoholkonsum nachzudenken: Wie viel Alkohol trinke ich? Ab wann ist es zu viel? Die Dialogwoche findet ab heuer alle zwei Jahre statt.