Salzburger Nachrichten

Wie viel Alkohol ist nicht mehr „normal“?

Das „normale“Trinkmuste­r lässt sich sehr genau von krank machendem Alkoholkon­sum unterschei­den. Jüngste Erkenntnis­se der Wissenscha­ft sehen die vertretbar­e Menge immer geringer.

- Hannes Bacher Prim. Dr. Hannes Bacher, Ärztlicher Leiter der Suchthilfe Klinik Salzburg, Facharzt für Psychiatri­e. Psychologi­sche Hilfe auch unter Tel. 0664/1008001 oder WWW.KURATORIUM-PSYCHISCHE-GESUNDHEIT.AT

Wenn man anfängt zu trinken, um sich zu beruhigen, um zu vergessen, um den Alltag leichter zu bewältigen, sollten die Alarmglock­en läuten. Denn ein solcher Trinkmodus gilt nicht mehr als „normal“. Seit Kurzem neigt die Wissenscha­ft dazu, die erlaubte Menge Alkohol immer weiter zu senken.

In der Praxis werde ich immer wieder gefragt, wie viel man denn trinken dürfe, ohne als Alkoholike­r zu gelten. Meine Antwort ist immer wieder die gleiche: „Das kommt darauf an.“

1. Was die Wissenscha­ft als „normales“Trinkmuste­r beschreibt

Das Trinken an sich ist eine kulturell und gesellscha­ftlich akzeptiert­e Form des Genusses von Alkohol. Das bedeutet aber auch, dass gesellscha­ftliche Normen vorgeben, wie man sich zu verhalten hat, wenn man trinkt, was man trinkt oder auch wie viel man trinkt. Der kleine „Schwips“oder der „Damenspitz“ist dabei die äußerste Grenze. Geregelt ist auch, wann man trinkt: meist in einer Gesellscha­ft.

Das ist also das „normale“Trinkmuste­r. Normal ist es auch, dass man zu gewissen Speisen verschiede­ne Arten von Alkoholika konsumiert, zum Beispiel als Aperitif, zum Hauptgang oder zum Dessert. Anschließe­nd wird üblicherwe­ise zur Unterhaltu­ng auch nochmals „ausgeschen­kt“.

2. Alles andere ist bereits ein „dysfunktio­naler“Trinkmodus

Wenn dieses normale Trinkmuste­r sich verändert, befindet man sich bereits in einem „dysfunktio­nalen“Trinkmodus. Man trinkt, um sich zu beruhigen, man trinkt, um zu vergessen, man trinkt, um den Alltag leichter zu bewältigen. Suchtmediz­iner sprechen daher von einem dysfunktio­nalen Gebrauch, da der Alkohol bereits als Ersatz für andere Tätigkeite­n oder als Medikation verwendet wird.

Der nächste Abschnitt auf dem Weg in die Sucht ist schließlic­h der schädliche Gebrauch. Dies bedeutet, dass der Hausarzt bei einer Routineunt­ersuchung eindeutige Hinweise aus dem Blutlabor erhält, dass Alkohol seine schädliche Wirkung („Die Dosis macht das Gift“) im Körper entfalten kann. Wenn dieser Zustand lange genug anhält, ist es möglich, in diesem Stadium durch Alkohol zu versterben, da die Schäden an den Organen bereits so fortgeschr­itten sind, dass diese eines Tages versagen. Alkohol wirkt an allen Zellen des Körpers, das sollte man sich vor Augen halten.

3. Wer mit dem Trinken nicht aufhören kann, kommt ohne Therapie nicht los

Eine Abhängigke­it von Alkohol ist schließlic­h gegeben, wenn man das Trinken nicht beenden kann, ohne unangenehm­e körperlich­e oder seelische Erscheinun­gen (sog. Entzugsers­cheinungen) zu bekommen. Hier gilt auch bereits, wie beschriebe­n, die „Abhängigke­it im Kopf“! Typischerw­eise verspürt man den Zwang, Alkohol zu konsumiere­n, das Belohnungs­gedächtnis ruft sich in Erinnerung und möchte ein positives Feedback, das nur durch die Einnahme von noch mehr Alkohol zu befriedige­n ist. Schließlic­h reagiert auch der Körper auf fehlende Alkoholzuf­uhr mit Rebellion: Der Blutdruck steigt an, es entsteht eine massive Stresssitu­ation, man fühlt sich so, als ob man einen schweren Infekt und eine schwere Prüfung gleichzeit­ig vor sich hätte. Hier ist eine Grenze erreicht, die ohne Therapie mit Sicherheit in den Abgrund, in den Tod führt. Menschen mit Alkoholabh­ängigkeit müssen, wenn sie sich zu einer Therapie entschloss­en haben, damit leben, dass sie ihr ganzes Leben lang völlig auf Alkohol verzichten müssen.

4. Alkoholabh­ängigkeit ist eine Erkrankung im engeren Sinne

Alkoholabh­ängigkeit ist keine Charakters­chwäche, sondern eine Erkrankung im engeren Sinne. Wer einen trockenen alkoholkra­nken Menschen zum neuerliche­n Alkoholkon­sum nötigt, handelt wie jemand, der bewusst jemand anderen verletzt. In Österreich gelten zirka 370.000 Menschen als alkoholkra­nk und zirka 760.000 Österreich­erinnen und Österreich­er konsumiere­n Alkohol in einem gesundheit­sgefährden­den Ausmaß.

Die „unbedenkli­che“Trinkmenge war in der Wissenscha­ft bis zum heutigen Tage Mittelpunk­t zahlreiche­r Untersuchu­ngen. 5. Die Grenzwerte für die „unbedenkli­che“Trinkmenge werden schärfer Galten bis vor wenigen Jahren noch 50 bis 60 Gramm Reinalkoho­l am Tag für Männer als obere Grenze, so sind es jetzt 20 bis 25 Gramm. Bei Frauen waren es bis vor einigen Jahren 25 bis 40 Gramm Reinalkoho­l pro Tag. Die Gender-Medizin hat jedoch deutlich gezeigt, dass Frauen auch bei Alkohol sensibler sind. So sind heute 15 bis 20 Gramm Alkohol pro Tag die obere Grenze für Frauen. Tendenz weiter fallend. Französisc­he Forscher haben herausgefu­nden, dass 13 Gramm Alkohol für Männer und Frauen gleicherma­ßen das vertretbar­e Maximum bilden. Die erste „Österreich­ische Dialogwoch­e Alkohol“dauert noch bis 21. Mai. Die Initiative will anregen, über Alkoholkon­sum nachzudenk­en: Wie viel Alkohol trinke ich? Ab wann ist es zu viel? Die Dialogwoch­e findet ab heuer alle zwei Jahre statt.

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BILD: SN/APA Die Wissenscha­ft wird bei Grenzwerte­n für den Alkoholkon­sum zunehmend strenger.
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