Auf dem falschen Fuß erwischt
Erst gegen eine Neuwahl, jetzt notgedrungen dafür. Erst gegen den Justizminister als Vizekanzler, jetzt dafür. Die SPÖ hat keine einfache Woche hinter sich.
Die Kanzlerpartei scheint von den Ereignissen der vergangenen Woche – angefangen mit dem Rücktritt von ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner – komplett auf dem falschen Fuß erwischt worden zu sein. Anders sind die zahlreichen Volten der vergangenen Tage nicht zu erklären.
Erst gestern, Dienstag, erfolgte die vorläufig letzte Drehung: Noch in der Früh hatte es die SPÖ kategorisch abgelehnt, Justizminister Wolfgang Brandstetter zum Vizekanzler zu machen, und darauf beharrt, dass der designierte ÖVPChef Sebastian Kurz selbst das Amt übernehmen müsse. Wenige Stunden später akzeptierte Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern dann Brandstetter doch als Vizekanzler. Allerdings ist die Zeit der rot-schwarzen Regierungsarbeit damit wohl endgültig beendet: Man werde zwar den verfassungs- und europarechtlichen Verpflichtungen bis zur Neuwahl im Oktober weiter nachkommen, aber gemeinsame Regierungsanträge gebe es keine mehr, betonte Kern in seiner Erklärung im Nationalrat. Er setzt für die Monate vor der Wahl nun auf lebendigen Parlamentarismus, sprich: „das freie Spiel der Kräfte“.
Mit Kurz als Vizekanzler hätte man den Regierungspakt noch Schritt für Schritt abarbeiten könnten, lautet die Erklärung für diese Entscheidung aus der SPÖ. Schließlich sei Kurz auch designierter ÖVPChef und habe entsprechend Gewicht bei der Entscheidungsfindung – ganz im Gegensatz zu Brandstetter, der zwar ein untadeliger Justizminister, aber nicht einmal ÖVPMitglied sei.
Dabei war Kurz noch vergangenen Dienstag in einer akkordierten Aktion von SPÖ-Ministern und Staatssekretären als Dirigent des „Intrigantenstadls in der ÖVP“bezeichnet worden. Auch bezichtigte die SPÖ den Außenminister, Initiator der harschen Verbalattacken Innenminister Wolfgang Sobotkas gegen den Kanzler zu sein. Sobotka hatte Kern zuvor öffentlich „Versagen als Kanzler“vorgeworfen.
Als Mitterlehner tags darauf überraschend seinen Rücktritt verkündete, war es dann aber dieser Sebastian Kurz, dem Kern die Hand reichte und dem er eine Reformpartnerschaft anbot. Es war der erste von mehreren vergeblichen Versuchen, Kurz in die Rolle des Vizekanzlers zu drängen. Kalkül: Lehnt Kurz ab, kann ihn die SPÖ als jemanden darstellen, der keine Verantwortung übernehmen will und mutwillig auf eine Neuwahl hinsteuert.
Als sich Außenminister Kurz am vergangenen Freitag tatsächlich für eine Neuwahl im Herbst aussprach, war die erste Reaktion vonseiten der SPÖ: Mit uns ganz sicher nicht. Die SPÖ werde weiterregieren – wenn es sein müsse, auch mit wechselnden Mehrheiten, betonte Kern. Auch die Bildung einer Minderheitsregierung schloss er nicht aus. Und er drohte der ÖVP das Ende der Zusammenarbeit für „sehr lange Zeit“an.
Zwei Tage später war alles anders: Es werde eine Neuwahl im Herbst geben, sagte Kern am Sonntag in der ORF-Pressestunde. Ob die SPÖ einem entsprechenden Antrag der ÖVP zustimmen werde, hänge vom Verhalten des Koalitionspartners ab, betonte er. Eine Minderheitsregierung war kein Thema mehr. Gehe es um Koalitionen nach der Wahl, seien ÖVP, Grüne und Neos die ersten Ansprechpartner für ihn, betonte Kern. Er schloss auch nicht aus, unter Kurz den Vizekanzler zu machen. Er diene Österreich. In welcher Funktion, müssten die Wählerinnen und Wähler entscheiden.