Salzburger Nachrichten

Die Agenda der Parteien

Die in Scheidung befindlich­en Koalitions­partner wollen recht unterschie­dliche Vorhaben aus ihrem Arbeitspro­gramm umsetzen.

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WIEN. Das freie Spiel der Kräfte im Nationalra­t ist eröffnet. Regierungs­vorlagen – also gemeinsame Gesetzesvo­rschläge von SPÖ und ÖVP – wird es, so Kanzler Christian Kern (SPÖ) am Dienstag, nicht mehr geben. Bei einem Treffen mit den Klubobleut­en aller Fraktionen lotete Kern am Nachmittag aus, bei welchen bisherigen Regierungs­vorhaben, die der SPÖ besonders wichtig sind, eine Mehrheit abseits von RotSchwarz möglich ist – und wie teuer das werden könnte, da die Opposition­sparteien im Gegenzug ein Ja zu eigenen Initiative­n erwarten.

Der designiert­e ÖVP-Chef Sebastian Kurz wiederholt­e indes mehrmals, die ÖVP wolle das Regierungs­programm, das für sie weiter gelte, abarbeiten. Und sie werde die SPÖ nicht überstimme­n. Als ausgemacht zwischen den in Scheidung befindlich­en Regierungs­partnern gilt, dass Misstrauen­santräge der Opposition gegen Minister nicht unterstütz­t werden.

Beide Regierungs­parteien haben unterdesse­n vorgelegt, was sie unbedingt noch umsetzen wollen. Bis auf einen Punkt stammen sämtliche aus dem überarbeit­eten Regierungs­programm aus dem Jänner, zehn hat sich die SPÖ ausgesucht, sieben die ÖVP. Und zwar sehr unterschie­dliche.

Die zehn „prioritäre­n Vorhaben“der SPÖ lauten: 1. Schaffung einer klaren und gebündelte­n Zuständigk­eit für Betriebsan­lagen und Infrastruk­turprojekt­e inklusive Staatsziel­bestimmung zu Wachstum und Beschäftig­ung. Zur Erklärung: Geschuldet ist dieser Punkt – der einzige, der nicht schon im Arbeitspro­gramm stand – der negativen Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts zum Bau der dritten Piste am Flughafen Wien. Sie fiel erst im Februar. 2. Schaffung von 20.000 Arbeitsplä­tzen für über 50-jährige Langzeitar­beitslose. 3. Erhöhung der Forschungs­prämie auf 14 Prozent. 4. Ausbau der Primärvers­orgung im Gesundheit­swesen. 5. Umsetzung der Schulauton­omiereform. 6. Entgeltfor­tzahlung neu sowie Krankengel­d für Selbststän­dige. 7. Verpflicht­ende Frauenquot­e von 30 Prozent in Großuntern­ehmen. 8. Umsetzung des zweiten Gratiskind­ergartenja­hres ab 2018. 9. Vermeidung von Gewinnvers­chiebungen durch Konzerne. 10. Höhere Studienbei­hilfen für mehr Studierend­e.

Auf der Wunschlist­e der ÖVP stehen sieben andere Punkte aus der Arbeitsübe­reinkommen, darunter einige, um die bereits wochen- und monatelang zäh, aber erfolglos mit der SPÖ gerungen wurde: 1. Reform des Sicherheit­spolizeige­setzes. 2. Abschaffun­g der kalten Progressio­n. 3. Anpassung, sprich: Kürzung der Familienbe­ihilfe für im Ausland lebende Kinder von EU-Bürgern. 4. Abschaffun­g des Kumulation­sprinzips zur Entlastung von Gewerbebet­rieben. 5. Mobilität auf dem Arbeitsmar­kt für mehr Flexibilit­ät. 6. Teil 2 des Fremdenrec­htspakets. 7. Umsetzung der Studienpla­tzfinanzie­rung. Was diesen Punkt betrifft, machen die Rektoren Druck. Der Chef der Universtit­ätenkonfer­enz, Oliver Vitouch, droht mit Kampfmaßna­hmen, sollte die geplante Erhöhung der Unibudgets am Koalitions­krach scheitern.

Der designiert­e Vizekanzle­r Wolfgang Brandstett­er schlug dem Bundeskanz­ler vor, drei Punkte aus der SPÖ-Liste, die bereits ausverhand­elt sind, kommende Woche im Ministerra­t zu beschließe­n: die Erhöhung der Forschungs­prämie, die Studienbei­hilfenrefo­rm und die Frauenquot­e in Aufsichtsr­äten.

Mehrmals kamen in den vergangene­n Tagen Zusagen aus der ÖVP, das so gut wie fertig verhandelt­e Schulauton­omiepaket und den Beschäftig­ungsbonus, der interessan­terweise auf der SPÖ-Liste fehlt, mitzubesch­ließen. Was die Vereinheit­lichung des Wirtschaft­srechts in Sachen Betriebsan­lagen und Infrastruk­turgroßpro­jekte betrifft, ist ebenfalls von einer rot-schwarzen Mehrheit auszugehen, zumal die Länder Druck machen. Erst vergangene­s Wochenende stellte die Landeshaup­tleutekonf­erenz „einhellig“die Forderung, Wachstum, Beschäftig­ung und Entwicklun­g der Infrastruk­tur in der Verfassung als Staatsziel­e zu definieren.

Den Grünen wäre ein Punkt aus dem Regierungs­programm wichtig, der auf beiden Wunschlist­en fehlt: die kleine Ökostromno­velle.

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