Dämpfer für Freihandel
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass umfassende Handelsabkommen auch die Zustimmung der nationalen Parlamente brauchen. Die Folgen des Spruchs lassen sich unterschiedlich einschätzen.
Die Europäische Union kann über moderne Freihandelsabkommen nicht allein entscheiden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag entschieden. Hintergrund ist eine Anfrage der EU-Kommission von 2014, ob die EU für ein Handelsabkommen mit Singapur die Zustimmung der Parlamente der Mitgliedsländer braucht.
Braucht sie, sagten die Luxemburger Richter. In dem Handelsabkommen seien Bereiche enthalten, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen, allen voran die Regelung der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten, also die umstrittenen internationalen Schiedsgerichte.
Damit schlossen sich die Richter der Einschätzung von Generalanwältin Eleanor Sharpston vom Dezember an. Somit wird die Ratifizierung von Abkommen durch alle nationalen und regionalen Parlamente nötig, wenn die Verträge auch diese Aspekte erfassen. Das kann Jahre dauern, befürchten Freihandelsbefürworter, und könnte ein Abkommen zu Fall bringen, wenn nur ein Land am Ende ablehnt. Im Herbst war der Abschluss des Handelsvertrags der EU mit Kanada (CETA) beinahe am Widerstand der belgischen Region Wallonien gescheitert. Der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette, sieht sich durch den EuGH-Spruch bestätigt. Seine geplante Anfrage beim EuGH, ob Investorenschutz überhaupt unter EU-Kompetenz fällt, sei dadurch noch mehr gerechtfertigt, sagte er am Dienstag. Derzeit läuft bei CETA der Ratifizierungsprozess.
Die EU-Kommission hat den EuGH-Spruch begrüßt. Nun werde man ihn genau analysieren, sagte Chefsprecher Margaritis Schinas, und dann mit dem EU-Parlament sowie den EU-Mitgliedsstaaten klären, wie es weitergeht.
Für die Brüsseler Behörde bringt die Entscheidung des Gerichtshofs nicht nur einen „Dämpfer“, wie die grüne Fraktionsvorsitzende Ska Keller sagt, sondern auch Klarheit. Die Diskussion über die EU-Kompetenz in der Handelspolitik läuft, seit diese mit dem Lissabon-Vertrag ausgeweitet wurde und die neuen Handelsverträge nicht nur wie früher den Abbau von Zöllen enthalten, sondern etwa auch Investorenschutz, öffentliche Aufträge sowie Umwelt- und Arbeitnehmerschutz. Mit TTIP, dem derzeit auf Eis liegenden Transatlantischen Abkommen mit den USA, erreichte das Thema die breite Bevölkerung. Globalisierungskritiker und Umweltaktivisten wie Greenpeace warfen der Kommission vor, intransparent und undemokratisch zu agieren, sie sprachen am Mittwoch von einem Sieg der Demokratie.
Ganz anders sieht das Daniel Caspary. „Das ist ein guter Tag für die Handelspolitik“, sagte der EU-Abgeordnete der CDU. Nun sei klar, dass die EU für Handelspolitik zuständig sei, auch für Bereiche wie Nachhaltigkeit, geistiges Eigentum oder Wettbewerbsrecht – mit zwei Ausnahmen, den Regeln zu bestimmten Auslandsinvestitionen und zur Schiedsgerichtsbarkeit. Man müsse jetzt genau prüfen, ob der im CETA-Abkommen enthaltene Schiedsgerichtshof vom EuGHSpruch erfasst ist. „Wir brauchen in Zukunft separate Abkommen über die Dinge, die in EU-Verantwortung liegen, und die Dinge, für welche die Mitgliedsstaaten zuständig sind“, sagte Caspary. Demokratie finde statt, „wenn jede Ebene ihre Zuständigkeit hat, nicht wenn jeder sich in alles einmischt“.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert ein Ende „jahrelanger Hängepartien in der Ratifizierung“. Sie seien schädlich und verunsicherten Unternehmen und Verbraucher.
Nationale Kompetenzen aus EUHandelsverträgen auszunehmen, hält auch der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, für den richtigen Weg. Der scheidende Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner betonte, die demokratische Legitimierung von umfassenden Handelsabkommen sei der richtige Weg. Sie dürfe „aber nicht zu faktenbefreiten Blockaden aus innenpolitischen Gründen führen“, sagte er in Anspielung auf die Vorbehalte, die die SPÖ bei CETA noch immer hat.
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs betrifft konkret nur den EU-Handelsvertrag mit Singapur. Sie wirkt aber auch auf andere, darunter wohl auch ein künftiges Abkommen mit Großbritannien nach dem Brexit.
Derzeit sind rund 20 Handelsverträge zwischen der Europäischen Union und anderen Ländern oder Regionen der Welt in Verhandlung, darunter mit Japan, Mexiko und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay and Uruguay.
„Das Urteil des EuGH gibt uns recht.“