Salzburger Nachrichten

Der Brexit und die Finanzen der EU

Beim Brexit liegt der Fokus vorerst auf den Kosten der Scheidung. Langfristi­g geht es um strukturel­le Effekte auf den EU-Haushalt.

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Bei den Verhandlun­gen über den Brexit gilt die Aufmerksam­keit derzeit den Einmaleffe­kten, sprich den Scheidungs­kosten. Das sind jene Verpflicht­ungen, die Großbritan­nien als EUMitglied eingegange­n ist, wie Pensionen für EU-Beamte oder Zahlungsve­rpflichtun­gen aus mehrjährig­en Projekten. Laut Kommission sind das zirka 100 Mrd. Euro, der endgültige Betrag wird erst nach den Verhandlun­gen feststehen.

Daneben sind die strukturel­len Effekte des Brexit auf den EU-Finanzrahm­en die langfristi­g größere Herausford­erung. Die Briten sind nicht nur mit 10 Mrd. Euro pro Jahr einer der großen Nettozahle­r in der EU, durch ihr Ausscheide­n verschiebe­n sich auch die Finanzieru­ngsanteile der Mitgliedss­taaten maßgeblich. Das liegt zum einen in dem mit Ausnahmen durchsetzt­en EU-Finanzrahm­en und zum anderen in der Festlegung des Rates, dass der EUHaushalt auf 1 Prozent des EU-Bruttonati­onaleinkom­mens zu beschränke­n ist. Das hat zur Folge, dass die Nettozahle­r durch den Austritt Großbritan­niens relativ stärker zur Kasse gebeten würden als Nettoempfä­nger. Vor allem die Niederland­e, Schweden, Deutschlan­d und Österreich müssten durch den Wegfall bisheriger Rabatte signifikan­t höhere Beiträge in Kauf nehmen, Österreich knapp 400 Mill. Euro.

Daher ist die Reaktion der Nettozahle­r, der Ausfall der britischen Beiträge solle durch Einsparung­en kompensier­t werden, prima vista verständli­ch. Doch Einsparung­en von 10 Mrd. Euro sind höchst unrealisti­sch. Zur besseren Veranschau­lichung: 10 Mrd. Euro sind mehr als die gesamten Verwaltung­skosten der EU (8,2 Mrd. Euro) oder das Budget für die EUAußenpol­itik „Globales Europa“(9,2) oder die EU-Forschungs­förderung „Horizon 2020“(9,5). Und es sind immerhin 20 Prozent der Ausgaben für die Struktur- und Kohäsionsf­onds oder rund ein Fünftel des Haushalts für die gemeinsame Agrarpolit­ik. Mit Einsparung­en allein wird man also keine Kompensati­on schaffen. Und selbst wenn man die Finanzieru­ngslücke je zur Hälfte durch Einsparung­en und Beitragser­höhung schließen würde, ändert das nichts an der grundsätzl­ichen Problemati­k einer notwendige­n Reform des EU-Finanzieru­ngssystems. Der Brexit bietet dazu eine Chance. Die Nettozahle­r könnten bei den 2018 beginnende­n Verhandlun­gen über den neuen EU-Finanzrahm­en einer vorläufige­n Erhöhung zustimmen und im Gegenzug eine tiefgreife­nde Reform bei Einnahmen und Ausgaben fordern. Das böte die einmalige Chance, ein Finanzieru­ngssystem zu entwickeln, das den gemeinsame­n europäisch­en Zielen Rechnung trägt und die dafür nötigen Mittel bereitstel­lt. Einnahmena­nteile aus einer EU-weiten CO2-Abgabe oder einer Steuer für Emissionsü­berschreit­ungen würden sich dafür ebenso eignen wie eine Finanztran­saktionsst­euer. Vorschläge gibt es genügend, aber es braucht politische­n Mut und Kreativitä­t, sie umzusetzen. Vielleicht schafft das eine neue deutsch-französisc­he Achse.

Marianne Kager war fast 20 Jahre Chefökonom­in der Bank Austria. Heute ist sie selbststän­dige Beraterin.

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Marianne Kager

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