Wenn der ORF seine Grenzen ausreizt
Politiker aller Lager kritisieren seit Wochen „ZiB 2“-Moderator Armin Wolf. Nun wirft ein ORF-Publikumsrat Wolf „destruktiven Journalismus“vor – und dieser wehrt sich. Welche Auflagen gelten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
WIEN. Der Titel war nur gezählte elf Sekunden eingeblendet. Die Auswirkungen könnten aber noch jahrelang zu spüren sein. Als Vizekanzler Reinhold Mitterlehner vor wenigen Tagen seinen Rückzug erklärte, machte er eine Anmoderation von ORF-Journalist Armin Wolf mitverantwortlich für seine Entscheidung. Dass das „Zeit im Bild“-Team den Filmtitel „Django – die Totengräber warten schon“einblenden ließ, sei der „letzte Mosaikstein“für seine Rücktrittsentscheidung gewesen.
Reinhold Mitterlehner ist nicht der Erste, der Armin Wolf kritisiert. Auch Erwin Pröll, der FPÖ-nahe ORF-Online-Chef Thomas Prantner und SPÖ-Stiftungsrat Martin Ivancsics tadelten den „ZiB 2“-Anchorman. Doch ist die Kritik berechtigt? Wenn es nach Peter Vitouch geht, schon. Der Medienpsychologe und stellvertretende Vorsitzende des ORF-Publikumsrats kritisiert im SN-Gespräch Armin Wolfs Stil deutlich. Während etwa die deutschen Moderatorinnen Anne Will und Sandra Maischberger Interviews so führten, „dass der Zuschauer die Möglichkeit hat, sich eine Meinung zu bilden“, sei dies in Österreich völlig anders. „Bei uns, vor allem bei Herrn Wolf, weiß man von Anfang an, welche Meinung er vertritt. Das ist nicht unbedingt guter Journalismus. Denn es ist keine objektive Befragung, sondern es schwingt immer eine Wertung mit.“Dies sei zwar kein Verstoß gegen das ORF-Gesetz, es bewege sich aber in einem Graubereich. „Und es ist keine gute Interviewführung.“Um das zu lösen, schlägt Vitouch „Interviewtraining“vor.
Auf SN-Anfrage wehrt sich Wolf gegen die Vorwürfe. „Ich werde tatsächlich oft zu Interviewtrainings eingeladen – allerdings als Vortragender“, sagt der „ZiB 2“-Anchorman. Er konfrontiere Politiker auch nicht mit seiner Meinung, „sondern mit Gegenargumenten, Widersprüchen und Kritik“. „Sonst könnte man die Interviews ja durch die Pressesprecher der Politiker erledigen lassen.“Der Vergleich mit Will und Maischberger ist für Wolf hingegen „absurd“– allein schon, da die Kolleginnen Talkshows mit mehreren Gästen moderieren. „In Einzelinterviews ist es die Aufgabe des Interviewers, einen Politiker mit Kritik und Gegenargumenten zu konfrontieren“, ergänzt Wolf. Auch Will und Maischberger scheinen das so zu sehen: 2016 wurde Wolf für seine Interviews der Hanns-Joachim-Friedrichs-Sonderpreis verliehen. In der Jury saßen unter anderem Anne Will und Sandra Maischberger.
Und welche rechtlichen Auflagen gibt es für die Redaktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, vor allem durch das ORF-Gesetz? Laut Walter Berka, Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Salzburg, darf Wolf solche Interviews führen. Grundsätzlich gelte für den ORF die Vorgabe, völlig unparteiliche, objektive Berichterstattung zu machen. Dies schränke zwar die Möglichkeit klassischer Kommentare ein – denn es müsste „jede in der Gesellschaft vertretene politische Meinung“berücksichtigt sein. Bei einem Interview könnten hingegen „durchaus scharfe Fragen“gestellt werden. Aber auch hier gibt es Auflagen. Und ein fast schon in Vergessenheit geratenes Urteil, auf das Berka verweist. 1989 musste der Verfassungsgerichtshof über ein ORF-Interview mit dem damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim entscheiden. Die Interviewer, Peter Rabl und Hans Benedict, hatten Waldheim fehlende Autorität und „Erinnerungsprobleme“unterstellt. Während die Rundfunkkommission vorab Rabl und Benedict abmahnte, gab der Verfassungsgerichtshof den Journalisten recht. Die Richter hielten aber ebenso fest, dass ein ORF-Interview nicht zu einem „Scherbengericht“werden dürfe. „Die Fragen dürfen also nicht polemisch oder bösartig sein“, ergänzt Berka. Und das ist für ihn bei den Wolf-Interviews nicht gegeben. Aber was ist mit der Einblendung des „Django“-Filmplakats? „Das ist für mich geschmacklos. Aber nicht jede Geschmacklosigkeit verletzt das ORF-Gesetz“, ergänzt Berka. Dass der „Django“-Verweis deplatziert war, bejahte auch Armin Wolf selbst. „Wenn sehr viele Zuseher etwas als zynisch verstehen, habe ich etwas falsch gemacht. Das tut mir leid“, schrieb Wolf auf Facebook.
Für Medienpsychologe Peter Vitouch hat Wolf hingegen nicht nur mit dem „Django“-Titel über das Ziel hinausgeschossen: „Kritischer Journalismus wird bei uns oft mit destruktivem Journalismus verwechselt. Nicht ein jeder Satz muss mit ,Aber‘ beginnen.“Armin Wolf macht vor allem der Vorwurf des destruktiven Journalismus „wirklich fassungslos“. „Das habe ich in 15 Jahren noch nicht ein Mal von einem Politiker gehört. Und ich wette jeden Betrag, dass Herr Vitouch nicht ein Interview von mir findet, in dem jeder Satz – oder nur jeder zweite oder dritte – mit ,Aber‘ beginnt. Das ist pure Polemik“, sagt Wolf. Vitouch verweist indes darauf, dass es auch im Publikumsrat wegen Wolf „durchaus Diskussionen“gab. „Aber viele trauen sich nicht, das öffentlich zu äußern, weil einem dann reflexartig vorgeworfen wird, den kritischen Journalismus umbringen zu wollen.“
„Nicht jeder Satz muss mit ,Aber‘ starten.“Peter Vitouch, ORF-Publikumsrat