Macht Politik krank?
Spitzenpolitiker laufen – nicht nur im Wahlkampf – permanent auf Hochtouren. Und viele von ihnen zahlen den Preis dafür.
WIEN. Der permanente Druck der letzten Tage, der letzten Wochen und der letzten Jahre war der grünen Parteichefin Eva Glawischnig anzumerken, als sie am Donnerstag ein letztes Mal vor die Presse trat. Als Mutter, die von ihren Kindern noch gebraucht werde, habe sie ihre Gesundheit nicht weiter aufs Spiel setzen wollen, sagte sie zur Begründung ihres Rücktritts. „Es hat körperliche Warnsignale gegeben, die ich ernst nehmen muss.“Den allergischen Schock, der sie während der internen Querelen um die aufmüpfigen Jungen Grünen in die Notaufnahme führte, sah sie als ernstes Warnzeichen. Verletzende Hasspostings im Netz gingen der Grünen-Chefin zudem sehr nahe.
Ironie des Rücktritts: Stress, täglicher Druck und die aufreibenden Multitasking-Anforderungen sind in einer Regierungsfunktion – die hat Glawischnig zwar immer angestrebt, kann sie aber nun nie mehr erreichen – noch wesentlich dramatischer. Dann hat man neben dem Alphatier-Ameisenhaufen namens Partei noch ein Ministerium und den aufreibenden Regierungsalltag mit dem Koalitionspartner zu managen und steht noch viel stärker im Fokus der Öffentlichkeit.
Spitzenpolitiker drängen mit aller Vehemenz an die Macht und viele zahlen irgendwann den gesundheitlichen Preis dafür. Nicht alle ziehen die Reißleine so konsequent wie jetzt Eva Glawischnig oder ihr grüner Parteikollege Rudi Anschober, der als oberösterreichischer Umweltlandesrat 2012 öffentlichkeitswirksam eine dreimonatige Auszeit wegen Burn-outs antrat. „Offensichtlich habe ich mit einer praktisch kontinuierlichen 80- bis 100-Stunden-Woche meinen Kräftehaushalt überstrapaziert.“Auch ÖVP-Chef Josef Pröll ging 2011 nach einem Lungeninfarkt mit einer klaren Erkenntnis aus der Politik. „Ich habe mich nicht gegen die Politik entschieden, aber für meine Gesundheit und meine Familie.“
Ehrlicher Umgang mit der Krankheit kann sich durchaus auszahlen: Vorarlbergs Grünen-Chef Johannes Rauch begab sich nach der Nationalratswahl 2013 „wegen völliger Überarbeitung und daraus resultierender Erschöpfungszustände“in ärztliche Behandlung, nahm eine achtwöchige Auszeit und wurde im Jahr darauf zum großen Wahlsieger bei der Vorarlberger Landtagswahl.
Lange Zeit galt Krankheit in der Politik als Zeichen der Schwäche: Hillary Clinton übertauchte im Vorjahr eine Lungenentzündung und lieferte taumelnd TV-Bilder, die viele Wähler an ihrer gesundheitlichen Eignung für das Weiße Haus zweifeln ließen. Bruno Kreisky litt an Bluthochdruck, der über die Jahre seine Nieren angriff und Schlaganfälle auslöste. Ein ärztliches Bulletin vor der Nationalratswahl 1983 ließ er schönen. Von den schweren Depressionen, die den deutschen Kanzler Willy Brandt quälten, durfte niemand wissen. Alois Mock bestritt jahrelang seine – irgendwann für alle sichtbare – Parkinson-Erkrankung. 1995 quälte sich Franz Vranitzky schwer erkältet und darob massiv schwitzend durch eine TV-Konfrontation mit Wolfgang Schüssel. HC Strache war 2008 am Ende des Wahlkampfs so heiser, dass er nur noch flüstern konnte.
Macht Politik krank? Der ÖVPGesundheitssprecher und Arzt Erwin Rasinger weiß als doppelter Experte Bescheid: „Politik macht nicht unbedingt krank – sonst müssten alle Politiker schwerstkrank umfallen.“Unbestritten sei, dass Politik enormen Stress bedeute. Der Job sei mit Raubbau am Körper verbunden. Zwar könnten Politiker besser mit Druck umgehen, „aber der Stress zehrt“.
Fürs Privatleben bleibe viel zu wenig Zeit. Es habe Ausnahmen wie Wolfgang Schüssel gegeben – der seine Zeit perfekt managte und es schaffte, konsequent Auszeiten zu nehmen.
Zeitstress und Psychostress seien enorm – selbst wenn man stabil sei, komme man oft in Krisensituationen. Die Folge seien Burnout, Übermüdung, Herzrhythmusund Schlafstörungen. Der Beruf des Politikers sei sogar „ärger“als der des Managers, sagt Rasinger. Aber während jeder zweite Manager laut Untersuchungen Beruhigungsmittel und Tabletten schlucke, seien die Politiker eher „Medizinmuffel“und tendierten dazu, es ohne Hilfe schaffen zu wollen. „Es ist eher im Gen des Politikers drin, dass er wenig auf seine Gesundheit schaut.“
Der Typus des Langzeitpolitikers sei aber ohnedies im Auslaufen begriffen. „Es ist nicht so, dass man 40 Jahre im Job bleibt.“Christian Kern habe gesagt: „Maximal zehn Jahre.“
Dass die Gesundheitsgefährdung im Wahlkampf drastisch steigt, sieht Rasinger nicht unbedingt: „Wahlkampf ist wie Adrenalin.“Es sei spannend und das Team sei meistens eher geschlossen. Wahlkampf sei nur in einem Fall megastressig und frustrierend: Wenn man wisse, dass man verliere.