Salzburger Nachrichten

Programmie­ren wird zu einer Schlüsselq­ualifikati­on

Programmie­ren kann man lernen und es wird aufgrund des digitalen Wandels stark nachgefrag­t. Bisher ist es eine ungenutzte Chance.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. WWW.SALZBURG.COM/GEWAGTGEWO­NNEN

Besuch bei einem weltbekann­ten Maschinenb­auunterneh­men: „Nein, HTL-Abgänger können wir keine mehr nehmen, die können alle nicht programmie­ren“, sagt der Entwicklun­gschef. Er wurde von der Zentrale beauftragt, die gesamte Maschinen-Planung und -Entwicklun­g in ein digitales 3D-Modell zu übertragen und diesen digitalen Zwilling zum Vorläufer jeder echten Maschine zu machen, die später das Fabriksgel­ände verlassen wird. Er hat in den vergangene­n Monaten Dutzende Coder angestellt, wie Programmie­rer internatio­nal heißen, die an Hochschule­n Informatik studiert haben.

„Wie kann es sein, dass HTL so am Bedarf der Wirtschaft vorbeiarbe­iten?“, fragt man sich im ersten Moment. Denn der Maschinenb­auer ist kein Einzelfall, sondern die Digitalisi­erung schlägt in allen Branchen durch. Und überall werden Mitarbeite­r gesucht, die die entspreche­nden technische­n Kenntnisse mitbringen. Das ist nun einmal Software-Schreiben.

Doch schon im zweiten Moment fällt einem ein, dass Programmie­ren so gut wie nirgends ein Unterricht­sfach ist. Ist das noch zeitgemäß? Programmie­ren wird nicht als allgemeine Kompetenz gesehen, die jeder Nutzer digitaler Geräte haben sollte, sondern als Spezialaus­bildung, die nur an einschlägi­gen Schulen und Hochschule­n mit Informatik-Schwerpunk­t gelehrt wird. Das heißt: Ein paar Tausend Absolvente­n im Jahr stehen einem geschätzt zehnfach größeren, konstant wachsenden Jobmarkt gegenüber. Die Kluft zwischen der Nachfrage nach IT-Experten mit Kenntnisse­n in aktuellen Programmie­rsprachen und dem Angebot ist mittlerwei­le so groß, dass IT-Berufe in Österreich ein offizielle­r Mangelberu­f sind.

In einigen Ländern, wie der Schweiz und Jordanien, werden Flüchtling­e mittlerwei­le in dreimonati­gen Coding-Bootcamps in den BasisProgr­ammierspra­chen ausgebilde­t. Für sie ist es eine Jobchance. Die Idee der Schnellsie­de- kurse in Coding kommt aus den USA und Kanada, wo sich mittlerwei­le viele Umsteiger, Einsteiger und Aufsteiger in mehrmonati­gen Bootcamps Basiskennt­nisse aneignen. Das ersetzt kein Studium, aber es kann als „Learning by doing“einen Teil des Mangels beheben.

Auch wenn man nicht selbst programmie­rt, erleichter­n Intensivku­rse das Verstehen digitaler Anforderun­gen und die Zusammenar­beit mit Experten. Beim Schweizer Medienkonz­ern Ringier gibt es daher für Topmanager eine Einführung ins Programmie­ren. Und in Wien entstand mit SmartNinja unter tatkräftig­er weiblicher Unterstütz­ung eine der ersten Programmie­rschulen. Ein Tropfen auf den heißen Stein – die Herausford­erung ist viel, viel größer.

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Gertraud Leimüller

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