Anklage gegen IS-Ehepaare: Kind sah Köpfungen mit an
Dschihadismus-Prozess in Graz: Drei radikalisierte Familien mit zwölf Kindern wanderten von Österreich nach Syrien aus. Bub wollte nach Tötungsvideos seinen Teddybären köpfen.
GRAZ. Die vier unscheinbaren Angeklagten – zwei Paare – werden von zwölf vermummten Sicherheitskräften bewacht, im ersten Stock hat ein PolizeiScharfschütze Aufstellung genommen. Grund für die Sicherheitsvorkehrungen? Den zwei Männern und zwei Frauen werden die Beteiligung an einer Terrororganisation, einer kriminellen Vereinigung sowie das Quälen und Vernachlässigen ihrer eigenen Kinder vorgeworfen. Der 38-jährige Erstangeklagte soll zudem noch für die Terrororganisation „Islamischer Staat“(IS) als Ausbildner gearbeitet haben. Er soll zumindest einen Mordversuch begangen haben. Als Scharfschütze in Syrien.
Eigentlich hätten sechs Angeklagte im Gerichtssaal Platz nehmen sollen, ein Ehepaar aus Bosnien ist aber nicht erschienen. Es wird jetzt mit einem internationalen Haftbefehl gesucht. Auch die zwei anderen Paare haben bosnische Wurzeln, sind mittlerweile aber Österreicher.
In einem Grazer Glaubensverein seien sie „durch glühende Vorträge für den IS“so weit radikalisiert worden, dass sie im Dezember 2014 nach Syrien ausgewandert sind. Mit dabei hatten die vor Gericht erschienenen Paare auch ihre acht Kinder im Alter von zwei bis 14 Jahren. „Im Glaubensverein wurde auch bei Kindern versucht, durch eine Gegenerziehung die in unseren Schulen vermittelten Werte zu brechen“, sagte der Staatsanwalt. Schon siebenjährige Mädchen hätten Kopftücher tragen müssen, die staatlichen Gesetze seien nur akzeptiert worden, wenn es um eigene Vorteile gegangen sei: „Kindergeld, Arbeitslosengeld, Pensionen.“
Eines der Kinder habe, so der Ankläger, schon in Österreich Gräuelvideos von IS-Verbrechen anschauen müssen. Ein Kind hörte von seinem Vater: „Das Größte, was ich will, ist, im Krieg zu sterben, und dann habe ich im Himmel 72 Wün- sche frei.“Und: „Es wäre auch für dich das Beste, wenn du Märtyrer wirst.“In Syrien führten die mitgereisten Frauen den Haushalt, die Männer sollen einen Scharia-Kurs und eine Kampfausbildung absolviert haben. Auch den Kindern im Alter von elf Jahren sei eine Kalaschnikow in die Hand gedrückt worden. Ein Achtjähriger, der kurz zuvor noch in Graz in die Volksschule ging, wurde im IS-Zentrum Ar-Raqqa Zeuge einer Enthauptung auf offener Straße. „Der Mann wurde geschlachtet“, erzählte der Bub, ein Sechsjähriger wiederum habe durch IS-Videos motiviert seinen Teddybären köpfen wollen.
Für den Staatsanwalt ist die „ideologische Radikalisierung das Ärgste, was man einem Kind antun kann“. Er wisse nicht, wie sich die bei Pflegeeltern untergebrachten Kinder entwickeln würden. Der Prozess baut auf den Aussagen der Kinder auf, eines hat berichtet, dass der Erstangeklagte – ein passionierter Jäger – einem Mann in die Brust geschossen haben soll. Die vier Angeklagten waren im April 2016 aus Syrien geflüchtet. In allen Punkten schuldig fühlte sich nur eine Frau, die Lebensgefährtin des mutmaßlichen Scharfschützen hält sich für nicht schuldig. Der 38-Jährige gab nur zu, dem IS angehört und seine Kinder gequält zu haben. Der zweite Angeklagte (49) – er soll verletzte IS-Kämpfer physiotherapeutisch behandelt haben – will von einer Zugehörigkeit nichts wissen.
Die rundum geständige Angeklagte antwortete auf die Frage des Richters, wer den Entschluss gefasst habe, mit den Kindern ins Kriegsgebiet zu ziehen: „Mein Mann.“Warum sie nicht Nein gesagt habe? „Wie denn? Ich habe da keine Macht.“Der Prozess wird am 30. Mai fortgesetzt.
„Es wäre auch für dich das Beste, wenn du Märtyrer wirst.“