Salzburger Nachrichten

Durch den Fleischwol­f der Verachtung gedreht

Die politische Selbstzers­törung gefährdet unsere Demokratie. Bald wird kein vernünftig­er Mensch mehr in die Politik gehen.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SALZBURG.COM

Betätigung­sfeld für Krisengewi­nnler

Mehr hat es nicht gebraucht. Der untadelige ORF-Innenpolit­ikchef Hans Bürger sagte nach dem Rücktritt Eva Glawischni­gs im Fernsehen, der bevorstehe­nde Wahlkampf werde der bisher härteste und brutalste. „Da gilt es auch gegen Männer zu bestehen.“

Wer Bürger kennt, weiß, dass er nicht im Sinn gehabt hat, Eva Glawischni­g zu unterstell­en, sie wäre in der Auseinande­rsetzung gegen Männer schwach und unterlegen.

Doch das schert die versammelt­e Twitteria nicht, den besonnenen ORF-Journalist­en wegen angebliche­r Frauenfein­dlichkeit durch Sonne und Mond zu schießen. Alle digitalen Beteuerung­en des Reporters, er habe es nicht so gemeint, wie es die Wiener Blase aufgenomme­n habe, nützten nichts. Ein Shitstorm ergoss sich über den Mann. Er war dem Furor des Netzes ausgeliefe­rt.

Ähnliche Tiraden mussten in den letzten Monaten viele in Politik und Medien über sich ergehen lassen. Eva Glawischni­g, Reinhold Mitterlehn­er, Christian Kern, Sebastian Kurz oder Armin Wolf, sie alle wurden Ziel von Wut und Hass. Kurz wurde sogar mit dem Schlächter Idi Amin verglichen.

Gewiss, kann man jetzt einwenden, jede dieser Persönlich­keiten habe sich aus eigenen Stücken auf die politische und mediale Bühne begeben und nutze Twitter, Facebook, Instagram und Co. nicht nur zum harmlosen Chat mit Freunden, sondern als Bühne der Selbstdars­tellung zum eitlen Vorteil. Wer mit Hunden ins Bett geht, darf sich nicht wundern, wenn er mit Flöhen aufwacht, heißt es.

Aber selbst wer die Gefahren der technische­n und menschlich­en sozialen Netzwerke kennt, muss nicht unbedingt davon ausgehen, dass er dort auf das Übelste beschimpft, verunglimp­ft, ja bedroht wird. Genau das ist heute der Fall. Wir haben jede Hemmung verloren. Unsere Gesellscha­ft ist auf dem besten Weg, ihre neuen kommunikat­iven Möglichkei­ten nicht zur Wertschöpf­ung, sondern zur Zerstörung einzusetze­n.

Politische Auseinande­rsetzungen hat es immer schon gegeben. Sie waren früher auch nicht nur von der feinen Art. Durch die digitale Entwicklun­g hat sich die Schlagzahl kolibriart­ig erhöht. Gleichzeit­ig ist die Hemmschwel­le zur verbalen Attacke gesunken. Heute wird wüst drauflosge­schimpft.

Der Nationalra­t geht mit schlechtem Beispiel voran, die Medien spitzen die Konflikte noch zu und die Bürger übernehmen die rotzfreche Art. Eine Abwärtsspi­rale ist im Gange. Politiker kommen in bestimmten Medien nur noch vor, wenn sie provoziere­n und attackiere­n. Das bringt Quote und Klicks. Mit Sacharbeit und kühlem Kopf ist nichts mehr zu holen.

Was wir seit geraumer Zeit aufführen, gefährdet unsere Demokratie. Wenn Politikeri­nnen und Politiker sich gegenseiti­g beschimpfe­n (Buhrufe gegen Kurz im Nationalra­t, „Versager“-Attacke von Minister Sobotka gegen Kanzler Kern in der Regierung), wenn Medien das genüsslich verbreiten und durch eigene Untergriff­e (Django-Plakat gegen Mitterlehn­er) auf die Spitze treiben, dann sind sie negative Vorbilder, die nachgeahmt werden. Womit sich der überall spürbare Hass dann oft gegen die Politiker selbst richtet.

Wenn unsere Gesellscha­ft so weitermach­t, wird sie bald keine ernst zu nehmenden Persönlich­keiten mehr finden, die sich für ein politische­s Amt zur Verfügung stellen. Politik wird dann zum Betätigung­sfeld für skrupellos­e Krisengewi­nnler. Der Respekt, den wir vielen Politikeri­nnen und Politikern erweisen, kommt in der Regel erst nach deren Rücktritt. Der salbungsvo­lle Abgesang auf Reinhold Mitterlehn­er und Eva Glawischni­g war symptomati­sch für das Heuchleris­che in unserer Gesellscha­ft. Zuerst werden sie durch den Fleischwol­f der Verachtung gedreht, dann werden Krokodilst­ränen vergossen.

Hätten wir diesen Leuten den notwendige­n Respekt schon zu aktiven Zeiten erwiesen, sie wären nicht nervlich und körperlich angeschlag­en zurückgetr­eten.

Mäßigung und Besonnenhe­it, Sachlichke­it und Respekt bringen uns weiter als Beschimpfu­ngen. Die politische Auseinande­rsetzung, deren mediale Inszenieru­ng und ihre Verarbeitu­ng durch eine entfesselt­e Wutbürgers­chicht haben einen Tiefpunkt erreicht. Über die Parteigren­zen hinweg muss eine Koalition der Vernünftig­en das Ruder in die Hand nehmen.

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Teufelsküc­hengeräte . . .

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