Salzburger Nachrichten

Einmal Europa und retour

Auf jahrelange Flucht folgt immer öfter die Abschiebun­g. Der Protest dagegen wird lauter.

- Michael Genner, „Asyl in Not“Ein 14-jähriger afghanisch­er Flüchtling, der auf dem Weg in die EU in Serbien hängen geblieben ist, lebt und duscht im Freien.

Vier Angestellt­e des staatliche­n Fernsehsen­ders kamen ums Leben, außerdem ein Wachmann, ein Fahrer und zwei Polizisten. Es war ein Anschlag von IS-Terroriste­n, der am vergangene­n Mittwoch die ostafghani­schen Großstadt Dschalalab­ad erschütter­te. „Ich habe über die sozialen Medien davon erfahren, als ich auf dem Weg hierher war“, sagte wenige Stunden später Wasil Faizi vom Kulturvere­in „Afghan Wulas“in Wien. Gemeinsam mit der „Plattform für eine menschlich­e Asylpoliti­k “kündigte er eine Demonstrat­ion an, die am heutigen Samstag (ab 14 Uhr auf dem Karlsplatz) unter der Botschaft steht: Afghanista­n ist nicht sicher.

Die Organisato­ren wollen mit der Kundgebung an die österreich­ische und europäisch­e Politik appelliere­n, keine Menschen mehr nach Afghanista­n abzuschieb­en. „Die unfreiwill­ige Rückkehr in das vom Krieg zerrüttete Land ist lebensgefä­hrlich“, mahnte Michael Genner von der Organisati­on „Asly in Not“, die Flüchtling­e juristisch berät.

Die Kritik ist nicht neu. Seit Deutschlan­d Abschiebun­gen nach Afghanista­n durchführt, so wie es mittlerwei­le etwa auch Österreich und Schweden tun, mehren sich die Zweifel, wie sicher das Land wirklich ist. Abgeschobe­n wird ausgehend von der Annahme, dass zumindest Teile des Landes sehr wohl sicher seien. Die Vereinten Nationen weisen in dem Zusammenha­ng allerdings darauf hin, dass sich die Lage laufend ändert – man müsste die Situation in den einzelnen Regionen also laufend evaluieren.

Als sicher wurde bislang unter anderem die Provinz Herat im Westen Afghanista­ns eingestuft. Dorthin wurde laut der „Plattform für eine menschlich­e Asylpoliti­k“im Februar ein 19-jähriger afghanisch­er Flüchtling von Deutschlan­d aus abgeschobe­n. Sein Vater sei bis in die 1980er-Jahre General in der afghanisch­en Armee gewesen, heute werde die Familie von den Taliban bedroht. Als Asylgrund wurde das nicht anerkannt, der 19-Jährige wurde abgeschobe­n – und wenig später von den Taliban in Herat erschossen.

Für Rechtsbera­ter Genner unterstrei­cht der Fall die Willkür der Asylsystem­e. „Natürlich hatte er ein Recht auf Asyl, aber das Asylrecht wurde mit Füßen getreten“, sagt Genner und verweist darauf, dass der Bruder des Mannes wenige Jahre zuvor noch Asyl bekommen habe. Auch in Österreich sei Asyl „mittlerwei­le zu einem Lotteriesp­iel geworden“. Für die Asylbewerb­er hänge viel davon ab, von welcher Einrichtun­g sie juristisch beraten und betreut würden und an welchen Richter sie gerieten.

Aus Österreich wurden zuletzt vor knapp zwei Wochen zehn Afghanen nach Kabul abgeschobe­n. In der afghanisch­en Gemeinscha­ft steigt damit die Unruhe. Sehr viele Menschen warten schon seit Monaten auf ihre Bescheide. „Viele von ihnen haben Angst“, sagt Morteza Mohammadi vom Verein „Afghanisch­e Jugendlich­e – Neuer Start in Österreich“. Mit einigen, die bereits abgeschobe­n wurden, versuchte er in Kontakt zu bleiben. Ein abgeschobe­ner junger Mann habe ihm aus Kabul berichtet, dass er nicht wisse, wie es weitergehe­n und wo er hin soll. Er sei dann erneut in den Iran geflohen, danach sei der Kontakt abgebroche­n.

„Asyl zu beantragen gleicht mittlerwei­le einem Lotteriesp­iel.“

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BILD: SN/AP

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