Herr Wittgenstein bringt Stille in den Wahlkampf
Wahlkampf – das ist das Hochamt der Ehrlichkeit. Wer ein bisserl die Feinheiten der Sprache liebt, kann sich da freuen.
Wie Wahlkampf? Wahlkampf ist doch noch gar nicht. Beteuern die, die schon mittendrin stecken. Das muss man verstehen. Die wollen sich ihre Wahlkampfauftakte nicht kaputt machen. Der Beginn einer Schlacht braucht Inszenierung. Nichts mehr geht einfach so los. Da muss ein Event her. Das muss fetzen. Aber ich weiß auch gar nicht, was so schlimm wäre, tobte schon der Wahlkampf. Das ist doch für Entertainment-Verwöhnte wie mich eine ganz herrliche Zeit. Die Sprache wird einfach wie im Kindergarten. Die Grammatik erreicht manchmal sogar eine Komplexität, die vergleichbar ist mit dem technischen Aufwand, den das Entfachen eines Zündholzes braucht. Ich mag es einfach, also freue ich mich. Das wird bestimmt ein guter Sommer und ein herrlicher Herbst. Nach diesem mäßigen Frühling muss das auch so sein. Und ich finde auch gut, dass es – egal, mit welchen Ausreden andere sich herumschwindeln – längst angefangen hat. Ich halte mich da an die Meinungsforschungsinstitute. Und die werken schon brav. Zum Beispiel wurde gleich nach der Machtübernahme des Herrn Kurz und damit des Platzens der aktuellen Regierung abgefragt, wie’s aussieht im Land. Wissen wollte man: Wie steht es im Parteienduell? Wer liegt vorn? Wer muss aufholen? Es ist alles sehr knapp, war eines der Ergebnisse. Ich mag so eine Spannung. Ich würde bei so einer Meinungsumfrage übrigens niemals meine wahre Meinung sagen, schon um die Spannung zu erhöhen. Wahrscheinlich wissen die das und so wurde ich auch noch nie befragt. Blöd ist so eine Spannung ja nur für Fans oder Parteimitglieder oder gar Kandidaten. Die wollen Gewissheit. Andererseits deuten sie jedes Ergebnis ohnehin so, dass das eigene Wohlbefinden nicht arg leiden muss. Das ist dann nur eine Frage, wie sehr man bereit ist, die eigene Würde dem Kalkül zu opfern. Das ist meistens auch kein Problem. Erst recht nicht jetzt, da es erst richtig losgeht. Noch ist, wie mir eine Meinungsforscherin im Fernsehen mitteilt, nichts passiert. Sie sagt: „Noch kann alles passieren.“Es ist alles „eng zusammen“. „Man kann gar nichts sagen“, sagt die Meinungsforscherin. Das ist ein schöner Satz. Leider wird er viel zu oft ausgesprochen. Der Satz erinnert mich an Erwachsene und mittlerweile auch an mich selbst als Vater. Da ist man von Kindseite ja oft mit Halbgescheitheiten konfrontiert, die auf jede Frage herausgeballert werden. Ich will ja nicht gleich sagen: „Fake News“, aber es wird schon recht viel Verzichtbares reportiert. „Man kann gar nichts sagen“, sagt die Meinungsforscherin also, obwohl sie nichts sagen kann. „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen“, hat der Ludwig Wittgenstein geschrieben. Aber der war halt Philosoph und wie wir vom alten Römer Boethius wissen, wäre man ein solcher, wenn man schwiege. Ich red’ ja auch nur. Und der Wittgenstein und Wahlkampf haben auch wirklich wenig gemeinsam – also nichts außer dem Anfangsbuchstaben.