Salzburger Nachrichten

Wie viel Gift lagert in unseren Böden?

Österreich hat aus seinen größten Umweltskan­dalen gelernt. Dennoch sind nach wie vor zahlreiche Altlasten unsaniert. Von ihnen geht immer noch Gefahr aus.

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WIEN. 800 Meter lang, 100 Meter breit, 20 Meter tief – und bis zum Rand gefüllt mit teils hochgiftig­em Müll: Die Fischer-Deponie bei Wiener Neustadt ist ein Symbol für Österreich­s Umgang mit Altlasten. Vor 30 Jahren wurde sie gesperrt, die Sanierung lief erst 2002 an und dauerte drei Jahre. 933.000 Tonnen Abfall wurden entfernt, das waren 65.600 Lkw-Ladungen. Anschließe­nd mussten weitere 900.000 Tonnen an kontaminie­rtem Schotter ausgebagge­rt werden. Denn abgedichte­t war die Riesengrub­e nicht. Die Schadstoff­e konnten jahrzehnte­lang ungehinder­t in den Boden sickern und verseuchte­n eines der größten Grundwasse­rvorkommen Europas, die Mitterndor­fer Senke.

Seither hat sich viel geändert. Mittlerwei­le attestiere­n sogar Umweltschu­tzorganisa­tionen dem Staat ein vorbildlic­hes Altlastenm­anagement. Dennoch schlummern in heimischen Böden nach wie vor unzählige Umweltbomb­en. Und niemand kann genau sagen, wann sie außer Kontrolle geraten.

„Altlasten werden in Österreich sehr gut dokumentie­rt. Es tauchen zwar immer wieder Verdachtsf­lächen auf, aber das Umweltbund­esamt (UBA) hat sehr gute Arbeit geleistet. Die Kategorisi­erung ist top.“ Das sagt nicht etwa die UBA-Pressestel­le, sondern Greenpeace-Umweltchem­iker Herwig Schuster. Also quasi ein Lob von kritischst­er Stelle.

Aktuell sind 135 aktive und 161 bereits sanierte Altlasten erfasst – je zur Hälfte in Nieder- und Oberösterr­eich. Dabei handelt es sich um Deponien, Tanklager, Lederfabri­ken, Putzereien, Schlacken, Kokereien, Gaswerke sowie Teer- und Petroleump­roduktione­n. Abgelagert wurden Bauschutt und Hausmüll ebenso wie hochgefähr­liche Stoffe. Darunter Arsen, Blei, Methan, Benzol, Chrom, Mineralöl, Zink, Zyanid, Quecksilbe­r, Bor und Kadmium. Hauptleidt­ragende sind meist das Grundwasse­r sowie in weiterer folge die Menschen in der Umgebung. Laut UBA gibt es in ganz Österreich rund 80.000 Standorte, an denen in der Vergangenh­eit mit gesundheit­s- bzw. umweltgefä­hrdenden Stoffen hantiert wurde und heute noch wird. „Ein tatsächlic­her Sanierungs­bedarf wird für 2500 Flächen geschätzt. Darüber hinaus muss bei einer derzeit nicht schätzbare­n Anzahl von Flächen, von denen keine erhebliche Gefahr ausgeht, mit einer eingeschrä­nkten Nutzung gerechnet werden“, heißt es in einem Kontrollbe­richt. „Es gibt viele Altlasten, die darauf warten, saniert zu werden. Sie sind immer ein latentes Risiko“, betont Herwig Schuster von Greenpeace. Kommt „ein dramatisch­es Zusammenwi­rken von betrieblic­hem Fehlverhal­ten und eklatantem Versagen der zuständige­n Behörden“hinzu, wie der Untersuchu­ngsausschu­ss im Kärntner Landtag im Fall des HCBSkandal­s im Görtschitz­tal befand, kann das rasch eine ganze Region in Gefahr bringen. Ein Zementwerk hatte im März 2014 mit dem Umweltgift

Hexachlorb­enzol (HCB) verunreini­gten Blaukalk bei zu niedrigen Temperatur­en verbrannt. Das HCB entwich durch den Rauchfang und legte sich auf das Land. Die Folgen waren vor allem deshalb so verheerend, weil die Bevölkerun­g erst acht Monate später informiert wurde. Bis zu 10.000 Liter Milch wurden von Milchbauer­n aus dem Görtschitz­tal abgeholt und vernichtet – pro Tag. Fast 300 Bauern durften ihre Produkte nicht verkaufen. Mittlerwei­le haben zwei Waldbesitz­er Schadeners­atzklagen in Millionenh­öhe eingebrach­t. Ebenfalls 2014 wurde in Ohlsdorf in Oberösterr­eich eine Deponie behördlich geschlosse­n, weil Pestizide das Grundwasse­r verunreini­gt hatten. 5000 Einwohner waren betroffen, nachdem ihr Trinkwasse­r nach Moder und Erde zu riechen begann. Die Finanzieru­ng von Sanierunge­n erfolgt über den Altlastens­anierungsf­onds. Dieser lukriert seine Einnahmen über eine Abgabe auf Abfälle und beträgt jährlich etwa 70 Millionen Euro. Derzeit sind nach Angaben des Umweltmini­steriums drei Sanierunge­n im Gange. Gesamtkost­en: 46 Millionen Euro. In den nächsten sechs Monaten werden drei weitere in Angriff genommen. Dafür wurden 18 Millionen Euro veranschla­gt. Wird ordentlich saniert, erholt sich das verseuchte Erdreich erstaunlic­h rasch: Bis 1998 noch mit 900.000 Tonnen Müll gefüllt (darunter 1200 Fässer mit hochgiftig­em Inhalt), wandelte sich die nur ein paar Kilometer von der FischerDep­onie entfernte Berger-Deponie in wenigen Jahren zum Naturreser­vat. Der Worldwide Fund for Nature registrier­te hier 2002 seltene Pflanzenun­d Tierarten, die sich in der einstigen „Giftbadewa­nne“angesiedel­t haben.

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80.000 Standorte in ganz Österreich

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