Von der Gunst und Kunst des richtigen Moments
Man sollte nicht erst beim Abgang von Menschen aus Spitzenjobs entdecken, dass in jedem Amtsträger auch ein Mensch steckt.
Erst Reinhold Mitterlehner, nun Eva Glawischnig – die Obmänner und Obfrauen der politischen Parteien fallen derzeit wie Dominosteine. Beiden fiel der Abschied sichtlich schwer und doch schien es so, als wären sie von einer tonnenschweren Last befreit.
Ein öffentliches Amt auszuüben oder ein Unternehmen zu führen ist schwierig genug. Aber zu den schwierigsten Übungen in einer Spitzenfunktion zählt der Rücktritt – das gilt für die Politik und für die Wirtschaft. „Ein guter Abgang ziert die Übung“, schrieb Friedrich Schiller und tatsächlich ist es sowohl eine Kunst als auch eine Gunst, den richtigen Moment für den Rücktritt zu erwischen.
Schiller schrieb auch, der Abschied von einer langen und wichtigen Arbeit sei immer mehr traurig als erfreulich. Das erklärt die Tränen, die fließen, wenn Männer und Frauen aus ihren Ämtern scheiden. Es zeigt, wie viel Druck von ihnen abfällt, aber auch, welche Verwundungen Menschen in Führungspositionen davontragen.
Es gibt im Englischen den schönen Spruch „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen“. Frei übersetzt und auf Spitzenjobs umgelegt heißt das: Wer dem Druck nicht standhält, soll sich nicht nach vorn drängen. Da ist was dran, man braucht in einem Spitzenjob ein robustes Seelenkostüm und ein gewisses Maß an Härte. Aber man ist nicht gegen seelische Verletzungen immun. Wohl deshalb werden Abschiede oft auch genutzt, etwas zu sagen, was man sich lange selbst verbeten hat.
Zurückzutreten ohne zurückzutreten zeugt von Größe. Dennoch soll man jene, die sich beim Abgang erlauben, ihre Kritiker zu kritisieren, nicht gleich verdammen. Die Bitterkeit, die vielen Rücktritten innewohnt, sollte eher ein Signal an alle sein, nicht erst im Augenblick des Abgangs zu entdecken, dass in jedem Amtsträger immer auch ein Mensch steckt.
Wieso tun sich so viele so schwer mit dem Rücktritt, wieso versäumen so viele den richtigen Moment für den Abschied? Weil sie die Macht abgeben müssen? Da ist etwas dran, Macht braucht jeder, der gestalten will, und jeder Verlust tut weh. Was verliert man noch – Ansehen? Vielleicht, aber das hält sich in Grenzen, vor allem in der Politik. Es heißt nicht umsonst, Dank sei keine politische Kategorie. Das ist freilich eine fatale Haltung. Man muss Menschen dankbar sein, die bereit sind, sich in den Dienst der Gesellschaft und an die Spitze zu stellen. Die reflexartige Antwort darauf lautet: Aber dafür gibt es viel Geld. Das mag für die Wirtschaft stimmen, trifft aber für die Politik nur bedingt zu.
Es bedarf allerdings bei jenen, die ganz oben stehen, auch einer Portion Selbstschutz. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn sie sich zu Herzen nähmen, was der Philosoph Seneca vor beinahe 2000 Jahren geschrieben hat: „Was du für den Gipfel hältst, ist nur eine Stufe.“Anders gesagt: Wer die Bodenhaftung nicht verliert, der kann auch nicht sehr tief fallen.