Salzburger Nachrichten

Patchwork schaut nur einfach aus

Keine Familie ist ohne Konflikte. Doch Patchworkf­amilien haben eine Reihe von Herausford­erungen zu bewältigen, die traditione­lle Familien nicht betreffen. Geduld ist dabei alles.

- URSULA KASTLER

Emmanuel Macron, Frankreich­s neuer Staatspräs­ident, hat eine Patchworkf­amilie, wenn auch keine ganz klassische. Seine Frau Brigitte brachte drei Kinder mit in die 2007 geschlosse­ne Ehe, die damals freilich schon erwachsen waren: Sébastien, heute 42, Laurence (40) und Tiphaine (33). Die sieben Enkelkinde­r nennen ihren Stiefgroßv­ater „Daddy“. Er sei Vater und Großvater des Herzens, sagte Macron einmal, und dass er sich das erarbeitet habe.

„Arbeit“steckt ja schon in dem Wort Patchwork und das lässt ahnen, dass das nach außen so bunte Zusammense­in innen eine nicht immer einfache Angelegenh­eit ist. Der Berliner Tiefenpsyc­hologe Wolfgang Krüger hat aus eigener Erfahrung zusammen mit seiner Stieftocht­er Katharina ein Buch darüber geschriebe­n. Geduld sei die oberste Devise, sagt er.

SN: Ist die Patchworkf­amilie, in die die Partner Kinder mitbringen, ein modernes Phänomen?

Wolfgang Krüger: Nein. Es gab in der Geschichte immer wieder Patchworkf­amilien, wenn die Frau im Kindbett starb oder der Vater im Bergwerk verunglück­te. Viele Märchen erzählen davon. Die Witwe oder der Witwer haben sich damals meist rasch und pragmatisc­h Partner gesucht, damit die Familie ernährt und die Kinder ordentlich großgezoge­n werden konnten. Das Neue heute ist, dass wir uns trennen und aus Liebe neue Partnersch­aften eingehen. Die Kinder werden mit einer Situation konfrontie­rt, die sie nicht mögen und nicht gesucht haben. In den meisten Fällen ist es der Stiefvater, der kommt.

SN: Wie reagieren die Kinder?

Die Kinder rebelliere­n meistens, und dafür muss man Verständni­s haben. Auch wenn der Stiefvater es gut macht, ist es doch eine massive Veränderun­g. Kinder verlieren durch den neuen Partner 50 Prozent an Zuwendung, Aufmerksam­keit und Bedeutung. In der Hälfte der Familien gibt es Schwierigk­eiten, vor allem, wenn die Kinder schon älter sind.

SN: Wie sehen diese Schwierigk­eiten aus?

Eine Patchworkf­amilie kann nie wie eine herkömmlic­he Familie sein, denn die Kinder sind ständig im Loyalitäts­konflikt. Sie wollen nicht Dinge mit dem Stiefvater machen, die sie mit dem Vater machen wollen. Es gibt auch lang keine Vertrauthe­it, in der man Herzenspro­bleme bespricht. Der Stiefvater ist nur der Partner der Mutter. Er bekommt keine Anerkennun­g. Wenn eine Stiefmutte­r kommt, ist es noch schwierige­r. Sie muss etwas tun, was sie fast nicht leisten kann: Sie kann die Mutterroll­e nicht übernehmen und muss trotzdem mütterlich sein.

SN: Was sollen Frauen und Männer beachten, die nun Stiefmutte­r oder Stiefvater werden?

Man muss akzeptiere­n, dass es keine normale Familie ist, dass Normalisie­rung Jahre dauert und die Kinder berechtigt protestier­en. Das ist kein Erziehungs­versagen. Wer versteht, warum die Kinder rebelliere­n, ist nicht so gekränkt. Das erleichter­t vieles. Wenn der Stiefvater wegen der Ablehnung gekränkt ist, entstehen permanente Machtkämpf­e. Das belastet auch die Partnersch­aft. Man braucht also als Betroffene­r gute Freunde, ein stabiles Umfeld, das einen aufbaut. Faktum ist, es ist eine Herausford­erung.

SN: Wie ist die Rolle der Großeltern?

Die Großeltern sind im positiven Sinne ein dämpfender Faktor, ein Fels im Strudel. Sie sind diejenigen, die bleiben und bei denen die Kinder Stabilität erfahren.

SN: Welche Faktoren spielen in der Patchworkf­amilie eine Rolle?

Eine Rolle spielt, ob sich die Eltern weiterhin halbwegs verstehen und vernünftig miteinande­r reden können. Eine zweite Rolle spielt die Qualität der neuen Partnersch­aft.

Vergessen sollte man nicht, dass in der Phase, in der die erste Partnersch­aft nicht mehr funktionie­rte, Kinder oft eine partnerähn­liche Funktion bekommen. Die Tochter etwa wird zur Vertrauten der Mutter und bekommt mehr Bedeutung, wenn es um Entscheidu­ngen geht. Wenn der neue Typ auftaucht, fällt das wieder weg.

SN: Wie reagieren die Kinder?

Es gibt Kinder, die sind sehr anpassungs­fähig und vertrauens­voll, meist sind es die jüngeren. Die älteren sind skeptisch und eifersücht­ig, mitunter auch auf das jüngere Kind, das sich anpasst.

Nicht zu unterschät­zen sind die Veränderun­gen, die mit einem neuen Geschwiste­rverbund einhergehe­n. Wird das Nesthäkche­n zum Sandwichki­nd oder bekommt der große Bruder eine ältere Schwester, ist das für ein Kind eine Umwälzung, an die es sich gewöhnen muss. Da gehen also die Konflikte kreuz und quer. Richtig schwierig ist es, wenn der Stiefvater ein eigenes Kind mitbringt und dann noch ein gemeinsame­s Kind kommt. Das wird ein Gerangel um Zuwendung, Loyalität und Macht, wenn man nicht wahnsinnig aufpasst.

Kinder können sich zurückzieh­en oder sehr aggressiv werden. Katharina sagte mir: „Es war nicht meine Entscheidu­ng und ich finde, du störst.“Es kann auch Aktionen geben, Strategien, um den neuen Partner wegzuärger­n. Kinder können so etwas durchplane­n. Katharina hat alles getan, damit ich mich nur als Gast fühlte. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Für mich war es die größte Schlacht meines Lebens, aber ganz langsam hat sich alles aufgelöst. Man muss als Stiefelter­nteil akzeptiere­n, dass es keine einfache Lösung gibt, und sich in die Kinder hineinvers­etzen. Das ist der Leitfaden.

SN: Warum klingt Patchworkf­amilie häufig so, als ob alles eitel Wonne wäre?

Vor 20 Jahren haben Scheidunge­n nur negativ ausgesehen, heute regt das niemanden mehr auf und wir haben bessere Erkenntnis­se darüber, was Kinder in der Situation brauchen und wie wir damit umgehen sollen. Neue Familienfo­rmen beinhalten auch Chancen. Katharina sagte, dass die Veränderun­g für sie positiv war, weil ich einen anderen Lebensentw­urf mitbrachte. So geht es vielen Familien, wenn die Schwierigk­eiten überwunden sind.

SN: Wie kann man sich vorbereite­n?

Frauen machen das oft klug. Sie schauen gleich, ob der neue Partner in die Familie passt, ob er gut mit Kindern kann und der Hund ihn mag. Als Mutter kann sie ihre Kinder beruhigen, sodass diese nicht das Gefühl haben, sie seien abgemeldet. Der neue Partner muss jemand sein, der Kränkungen aushält und nicht eitel und schnell gereizt ist. Er braucht die Geduld eines Brauereipf­erdes mit Scheuklapp­en, einem breiten Rücken und einem langsamen Gang.

Meine Katharina ist heute 31, wir kennen einander seit 21 Jahren und telefonier­en jeden zweiten Tag miteinande­r. Es war ein langwierig­er Weg. Aber ich habe eine Tochter gewonnen, und das ist sehr schön.

Wolfgang Krüger ist Tiefenpsyc­hologe. Der Schwerpunk­t seiner Arbeit liegt in der Überwindun­g von Ängsten und Depression­en sowie von Beziehungs­problemen. Dazu Bücher: „So gelingt die Liebe – auch wenn der Partner nicht perfekt ist“, „Freiraum für die Liebe. Nähe und Abstand in der Partnersch­aft“(BoD und KreuzVerla­g). Zum Thema: „Überleben in der Patchworkf­amilie. Mit einem Vorwort von Jesper Juul.“(Zusammen mit Katharina Münzer).

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BILD: SN/AFP/ERIC FEFERBERG Präsident Emmanuel Macron mit seiner Frau Brigitte und Stiefenkel­kind Emma. Sie ist das Kind von Stieftocht­er Laurence. Rechts hinten zu sehen sind Stieftocht­er Tiphaine und ihr Mann Antoine.
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