Macht im Anzug
Gemeinsam voran. Die Politik mag immer wieder ihren Mantel nach dem Wind hängen. Der Zweiteiler für den Mann im Amt bleibt.
Schlichte, dunkle Kleidung ist seit Jahrhunderten unangefochten ein Symbol für Demokratie, Verantwortung und Würde. Die Männer der Französischen Revolution trugen sie für „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Ein Gespräch mit Bernhard Roetzel, Fachmann für Fragen des Stils, über Jacke und Hose in der Politik von heute.
SN: Emmanuel Macron ist nun Frankreichs Staatspräsident. Er sieht in seinen Anzügen und einem schlichten knielangen, dunkelblauen Mantel auf unaufgeregte Art elegant und glaubwürdig aus – im Gegensatz zu seinem glücklosen Vorgänger François Hollande, dessen Jacketts immer an den falschen Stellen Falten warfen. Welchen Stellenwert hat Kleidung heute noch in der Politik?
Bernhard Roetzel: Die richtige Kleidung zu wählen ist für einen Politiker sehr, sehr wichtig. Interessanterweise spielt das Gesamterscheinungsbild hier wie auch in bestimmten Wirtschaftspositionen eine große Rolle. Das ist nicht unbedingt zu erwarten, denn in weiten Teilen der Gesellschaft hat der Dresscode aufgehört zu existieren. Wenn jemand in Jeans in die Oper geht, regt das niemanden mehr auf, außer Leute wie mich, die immer noch finden, dass ein bestimmter Anlass auch die entsprechende Kleidung erfordert. Das hat nichts mit altbackenen Konventionen zu tun. Ich halte das für eine Art von Respekt sich selbst und anderen gegenüber. Für die Politik gibt es noch einen Minimalkonsens. Ein Staatspräsident, der zu offiziellen Anlässen im T-Shirt kommt, ist noch unvorstellbar.
Die französischen Politiker finde ich wunderbar. Dunkelblauer oder dunkelgrauer Anzug, hellblaues oder weißes Hemd, dunkle Krawatte: Das ist der beste Look für Politiker. Die Schlichtheit und der Kontrast zwischen Hell und Dunkel lenken den Blick auf das Gesicht. Es ist die Uniform der Staatsdiener. Emmanuel Macron sieht darin sehr gut aus, François Fillon – er war der Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei – noch viel besser. An ihm sieht man, welchen Unterschied ein maßgeschneiderter Anzug und ein erstklassiger Stoff machen können.
SN: Das war allerdings eines der Vorkommnisse, die François Fillon die Chance auf das Präsidentenamt genommen haben. Es gab einen Sturm der Entrüstung, weil er sich Maßanzüge des Pariser Edelschneiders Arnys hat schenken lassen . . .
Ich weiß nicht, was schlechter angekommen ist. Ich vermute aber, die Betonung liegt wohl auf „hat sich schenken lassen“. Der Preis für einen Maßanzug ist nicht unanständig, wenn man bedenkt, dass etwa 70 Arbeitsstunden dafür zu veranschlagen sind. Aber als Geschenk ist das für einen Politiker heikel. Ein Politiker im Maßanzug verursacht in Frankreich oder auch in Italien eher keine Aufregung. Wer den Staat repräsentiert, soll die Würde des Amts auch sichtbar und glaubhaft verkörpern. Das erwarten die Menschen. Fillon trägt zudem echtes Pariser Handwerk. Auf diese Tradition sind die Franzosen stolz. Man muss auch den Schneider beachten. Das Haus Arnys, das 1933 von Jankel Grimbert gegründet wurde, hat seinen Sitz am linken Ufer der Seine, also dort, wo auch die Lebenskunst, die Intellektuellen und Künstler zu Hause waren und sind. Ernest Hemingway, Valéry Giscard d’Estaing, Jack Lang und François Mitterrand haben dort eingekauft. Arnys steht nicht für Protzerei, sondern für verfeinerte Lebensart. Dazu gehören in Frankreich immer noch Essen, Kleidung, das Wissen um Literatur und Musik sowie die gekonnte und angenehme Konversation.
SN: Der Anzug ist ein durch und durch demokratisches Kleidungsstück. Vom Staatspräsidenten bis zum Leibwächter können ihn alle Männer tragen. Warum ist er immer noch „das“textile Machtsymbol?
Dazu muss man sich ein bisschen seine Geschichte anschauen. Die Kombination aus Jacke, Weste und Hose aus dem gleichen Stoff kam um 1900 auf. In der Gründerzeit zwischen der Revolution 1848 und dem Börsenkrach 1873 hatte sich endgültig die dunkle Farbe durchgesetzt. Doch schon lange vorher, im England des frühen 18. Jahrhunderts, war zu beobachten, wie sich eine uniforme standardisierte Kleidung etablierte, an der sich weltweit Männer zu orientieren begannen. Erfinder dieses Kleidungsstils waren die „merchants“. Im einheitlich schlichten Anzug wurden religiöse, kulturelle, ethnische und soziale Unterschiede unsichtbar. Bürgerlichkeit wurde gesellschaftlich tonangebend. Dazu gehörten auch die Arbeiter. Ab den Studentenrevolten des 68er-Jahres änderte sich vieles. Der Anzug wurde zunehmend zum Stück für festliche Anlässe. Auch heute ist er ein Kleidungsstück, an dem sich der private und der öffentliche Bereich trennen. Und er ist ein Kleidungsstück für bestimmte Branchen wie Topmanagement und Politik geworden. Bis zu den Weltkriegen war in Europa die Uniform die Kleidung der politischen Macht. Die „Macht“des Anzugs ist recht gut an einem kleinen Beispiel zu sehen: Wenn Politiker oder Wirtschaftsbosse Kumpelhaftigkeit demonstrieren wollen, legen sie die Jacke ab und krempeln die Ärmel des Hemdes hoch.
SN: Sie haben vorhin von Würde gesprochen. Ist es nicht seltsam, dass wir vieles in Bezug auf Kleidung über Bord gekippt haben, aber diese Vorstellung offensichtlich nicht?
Es gibt einen Ausspruch, der heute noch gültig ist: Kleider machen Leute. Ein erwachsener Mann in kurzen Hosen wirkt lächerlich. Ein Anzug kann Selbstsicherheit und Souveränität verleihen. Wenn ich etwas Bestimmtes trage, verändert sich meine Stimmung. Wir dürfen in diesem Zusammenhang Film und Fernsehen nicht unterschätzen. Diese Medien haben die Stoffhülle zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen. Kleidung ist immer auch Inszenierung. Man kann damit einen Eindruck erwecken, alles Mögliche hineininterpretieren. Auch Würde, die man von Menschen in bestimmten Funktionen erwartet.
SN: Wenn Sie nach Österreich schauen, was sehen Sie?
Ich sehe einen Bundeskanzler in zu engen Anzügen und einen Bundespräsidenten, der zu einer Galaveranstaltung, für die „Black Tie“vorgeschrieben ist, in schwarzem Anzug und mit schwarzer Krawatte erscheint, weil ihm offensichtlich niemand gesagt hat, dass „Black Tie“Smokingpflicht bedeutet. Im Bereich der Bekleidung waren Österreichs Politiker schon besser, wenn man an Bruno Kreisky und Hannes Androsch denkt.
SN: Immer wieder wird behauptet, der Anzug stirbt aus. Wie geht es ihm aus Ihrer Sicht?
Der Anzug ist kein Massenphänomen, doch ich sehe, dass junge Männer viel Interesse dafür haben. Sie ziehen sich mit Freude und Lust an, dazu gehören für sie auch wieder der Anzug, die Krawatte, das Einstecktuch, Lederschuhe. Sie wollen nicht protzen, sondern diese Kleidung genießen. Sie interessieren sich für das Handwerk, die Menschen, die es ausüben, und sie legen Wert auf Nachhaltigkeit. Der Anzug lebt.