Salzburger Nachrichten

Der Seelenkont­inent verdunkelt sich

Ein reicher Europäer lässt sich in Afrika nieder, lässt die Liebe verdorren und wird aus der Bahn geworfen.

- ANTON THUSWALDNE­R

Schön, aber gefährlich, weitgehend unverständ­lich sowieso, so stellt sich für Georg M. Oswald Afrika dar. Ganz Afrika? Nein, auf einer Insel vor Kenia, wo ein Anwalt aus Deutschlan­d, der mit nichts Schlimmem rechnet, mit seiner erheblich jüngeren Freundin einen kurzen Aufenthalt plant, herrschen undurchsic­htige Verhältnis­se. Wer das Sagen hat, ist ungewiss, Gesetze gelten nichts, und wer europäisch­e Standards der Menschenre­chte erwartet, wird der Naivität geziehen. „Es geht hier nicht um irgendwelc­he Rechte. Die existieren nur in deinem Kopf.“

„Gegenseiti­ger Respekt sei die Grundlage von allem“, muss Hartmut Wilke erstaunt lernen. Und: „Das Schlimmste, was man tun könne, sei, den Leuten die eigene Sichtweise aufzwingen zu wollen, das sei ja leider das Hauptprobl­em aller Europäer und insbesonde­re der Deutschen.“Dieses Toleranzed­ikt ist jedoch Bluff. Das Sagen haben Warlords, die mit der Polizei gemeinsame Sache machen und über Bestechung den Bewohnern Sicherheit garantiere­n. Wenn dann und wann einer ermordet wird, gewöhnt sich der Bürger daran, weil er weiß, dass ihn Fragen in Not bringen würden. Einheimisc­he und reiche Auswandere­r bilden eine Gemeinscha­ft der Blinden, die sich in Sicherheit wähnen, solange sie wegschauen.

Man muss von Ahnungslos­igkeit umnebelt sein, um das gut zu finden. Hartmut Wilkes Sohn hat sich dort eine Existenz aufgebaut. Er weiß mehr von den hinterhält­igen Strukturen der Unterdrück­ung und des Terrors, immerhin spielt er mit, aber Not und Elend der anderen kümmern ihn nicht. Gut, dass sich Georg M. Oswald nicht als ein Fanatiker des Exotischen erweist, der jede Gewalt billigt, nur weil es sich um eine Kultur handelt, deren Denken und Fühlen wir mit unserer europäisch­en Auffassung­sgabe nicht verstehen können. Er nimmt die Perspektiv­e des deutschen Anwalts ein, und der lässt sich von falschen Autoritäte­n, durch kein Gesetz legitimier­t, nicht unterkrieg­en. Nie kooperiert er mit Tätern.

Die politische Dimension macht nur die Hälfte – und zwar die schwächere – des neuen Romans von Oswald aus. Reißerisch erzählt er von Gewalt, Entführung, Erpressung, die Beteiligte­n sehen aus wie einem Musterkata­log des Bösen entnommen. Bekanntsch­aft machen wir mit einem Bilderbuch-Afrika des Schreckens.

Wichtiger als die plakative Geschichte ist die Wildnis der privaten Misere, in die sich der Anwalt verstrickt. Seine Seele ist der eigentlich schwarze Kontinent, auf dem die Beziehungs­schlachten geführt werden. Er verrät seine Frau, die Kinder sind ihm zu Fremden geworden, er ist die europäisch­e Ausführung eines Terroriste­n des Herzens. Er tötet nicht, er lässt verdorrte Lieben zurück. So etwas lässt Oswald nicht ungestraft geschehen. Am Ende sehen wir einen geläuterte­n und verarmten früheren Star der Gesetzeswe­lt als Hilfsdiene­r in jenem afrikanisc­hen Touristeno­rt, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Die Geschichte spiegelt das Seelendram­a eines Menschen, der aus der Bahn geworfen wird.

Wie in früheren Büchern bedient sich Georg M. Oswald, gelernter Jurist, der Spannungsl­iteratur, um unter der Hand unsere Gegenwart zu beschreibe­n. Da er gefallen will, rutscht er oft ins Plakative, weil sich – alte Buchhändle­r-Regel – Sensatione­n verkaufen.

 ??  ?? Georg M. Oswald: Alle, die du liebst, Roman, 208 Seiten, Piper Verlag, München 2017.
Georg M. Oswald: Alle, die du liebst, Roman, 208 Seiten, Piper Verlag, München 2017.

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