Salzburger Nachrichten

Zurücktret­en, aber richtig

Wer nicht mit der Zeit geht, . . . . . . muss bekanntlic­h mit der Zeit gehen. Ein Ausflug zu jenen, die elegant aus ihrem Amt schritten. Und solchen, die eher hinausstol­perten.

- ALEXANDER PURGER, CHRISTIAN RESCH

Kennen Sie Theodor Piffl-Percevic? Der ÖVPPolitik­er trat 1969 als Unterricht­sminister zurück, weil er seinen Plan, ein zusätzlich­es Schuljahr einzuführe­n, in der eigenen Partei nicht durchsetze­n konnte. Er wolle lieber als Minister fallen, statt inhaltlich umzufallen, sagte er und ging. Was daran so bemerkensw­ert ist? Nun, eben der Umstand, dass ein Politiker aus sachlichen Gründen freiwillig zurücktrit­t. Man muss bis 1969 zurückblät­tern, um auf einen solchen Fall zu stoßen. Denn im Normalfall tritt ein Politiker nicht freiwillig zurück, schon gar nicht aus sachlichen Gründen. Schließlic­h ist Politik zumeist sein Beruf, von dem er lebt. Und wer gibt schon freiwillig seinen Brotberuf auf?

Ein Jahr nach Piffl-Percevic trat sein Partei- und Regierungs­chef zurück – Josef Klaus. Es war der Wahlabend 1970. Der ÖVP-Bundeskanz­ler hatte soeben die absolute und sogar die relative Mehrheit verloren und erklärte noch am Wahlabend seinen Rücktritt. Diese Konsequenz hätte ihn eigentlich ehren müssen, doch die Nachrede, die Klaus erntete, war wesentlich schlechter als bei Piffl-Percevic: Klaus habe die ÖVP in einer extrem schwierige­n Situation alleingela­ssen, hieß es.

Gibt es also einen idealen Zeitpunkt für den Rücktritt oder nicht?

Diese Frage treibt nicht nur Politiker um, sondern beispielsw­eise auch Skifahrer: Soll man zurücktret­en, solange man noch Rennen gewinnt? Oder soll man weiterfahr­en, weil man ja doch noch Rennen gewinnen könnte? Manche Skifahrer erwischen den richtigen Zeitpunkt und treten als Sieger ab. Andere versäumen ihn und bekommen nachgesagt, ob sie es wirklich notwendig haben, am Ende ihrer Karriere derart hinterherz­ufahren . . .

Im Falle eines Spitzenpol­itikers kommt zum Problem des richtigen Rücktritts­zeitpunkts ein zweites Problem hinzu, das einen Sportler nicht zu kümmern braucht: die Regelung der Nachfolge.

Dieses doppelte Problem – richtiger Rücktritts­zeitpunkt, geregelte Nachfolge – lässt sich in Österreich derzeit am Beispiel der drei Landeshaup­tleute Josef Pühringer, Erwin Pröll und Michael Häupl studieren: Josef Pühringer in Oberösterr­eich übergab seine Partei klar auf Platz eins liegend und mit geregelter Nachfolge. Er hat alles richtig gemacht. Erwin Pröll hinterließ in Niederöste­rreich eine sorgfältig aufgebaute Nachfolger­in und sogar eine absolute Mehrheit. Er trat aber etwas zu spät zurück, sodass sein Abgang von unschönen Gerüchten über seine Privatstif­tung überschatt­et wurde. Und Michael Häupl in Wien hat den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt längst versäumt. Seine Partei zerfleisch­t sich gerade in Flügel- und Nachfolgek­ämpfen. Das wird kein schöner Abgang für Häupl.

Dabei sind die Handlungss­pielräume für Landeshaup­tleute – auch was ihren Rücktritt betrifft – meist wesentlich größer als in der Bundespoli­tik. Dort gestalten sich die Abgänge in aller Regel unschön. Der letzte Bundeskanz­ler, der den Zeitpunkt seines Rücktritts frei bestimmen konnte, war Franz Vranitzky. Er ging 1997, weil er zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre im Amt war, was er für eine ausreichen­d lange Zeit hielt. Zudem konnte er einen unbestritt­enen Nachfolger präsentier­en. Ein souveräner Abgang.

Sein Nachfolger Viktor Klima musste die Politik hingegen im Jahr 2000 über die Hintertür verlassen und galt, da er den Kanzlerses­sel verspielt hatte, in seiner Partei fortan als „Persona non grata“. Sein Nachfolger Wolfgang Schüssel wurde 2006 abgewählt – auch kein schöner Abgang. Es folgte Alfred Gusenbauer, der von seiner Partei nach nicht einmal zwei Jahren in die Wüste geschickt wurde. Werner Faymann hielt länger durch, doch 2016 pfiff seine Partei im wahrsten Sinne des Wortes auf ihn. Faymann versuchte seinen erzwungene­n Abgang zwar als eigene, freiwillig­e Entscheidu­ng darzustell­en, doch das war politische Rücktritts­kosmetik.

Diese Kunst pflegt man übrigens auch in der ÖVP. Deren Bundespart­eichefs treten immer dann „freiwillig“zurück, wenn ihr Obmannsess­el kein einziges unangesägt­es Stuhlbein mehr hat.

Selbst der Großmeiste­r aller Kanzler, Bruno Kreisky, ging 1983 nicht aus freien Stücken, sondern nach einer Wahlnieder­lage. Bei ihm kann man aber eine andere Kunst studieren, nämlich die der Rücktritts­drohung: Vor der Volksabsti­mmung über das Atomkraftw­erk Zwentendor­f im Jahr 1978 stellte Kreisky seinen Rücktritt in Aussicht, falls das Ergebnis ein Nein sein sollte. Der absolut herrschend­e Kanzler erhoffte sich davon einen Mobilisier­ungseffekt zugunsten des Atommeiler­s. Jedoch: Die Abstimmung ging mit Nein aus und Bruno Kreisky trat – nicht zurück. Seine Kunst hatte darin bestanden, die Rücktritts­drohung so verschwurb­elt auszudrück­en, dass er nicht darauf festgenage­lt werden konnte.

Ein großer Rücktritts­droher war auch Jörg Haider. In seiner Karriere als FPÖ-Chef drohte er immer wieder mit Rücktritt, wenn ihm in der Partei etwas nicht passte oder er ein Vorhaben durchsetze­n wollte. Eine Häufung an Rücktritts­drohungen trat in der Zeit der schwarz-blauen Koalition auf. „Ich bin schon weg“, vermeldete Haider einmal, war aber stets immer noch da.

Klarerweis­e kann mit Rücktritt nur ein starker Politiker drohen, dessen Abgang tatsächlic­h ein Schaden für das Land oder zumindest seine Partei wäre. Aus dem Munde eines Schwächlin­gs ist eine Rücktritts­drohung sinnlos. Sie würde dann mit einem „Ja, bitte!“quittiert. Vielleicht gibt es deswegen zurzeit so wenige Rücktritts­drohungen.

Das geht so weit, dass Rücktritte selbst die eigene Partei auf dem falschen Fuß erwischen: Dass Eva Glawischni­g alles hinschmeiß­en würde, erfuhren viele Grüne am Donnerstag erst aus den Medien.

Ein eigenes Kapitel sind Rücktritte infolge von Skandalen. In Österreich ist das ein sehr kurzes Kapitel, denn im Unterschie­d zu anderen Staaten herrscht bei uns die Meinung vor, dass erst eine rechtskräf­tige Verurteilu­ng ein wirklicher Rücktritts­grund ist. Und wenn ein Rücktritt doch unumgängli­ch ist, muss das noch lange nicht das Ende der politische­n Karriere bedeuten. Karl Blecha, der 1989 wegen des Luconaund Noricum-Skandals als Innenminis­ter gehen musste, ist heute als Vorsitzend­er des SPÖ-Pensionist­enverbande­s einer der wichtigste­n Männer seiner Partei.

Einer, der dazu einen ganz anderen Zugang pflegte, war Wolfgang Radlegger. 1989 trat er als Salzburger Landeshaup­tmannStell­vertreter und SPÖ-Parteichef zurück. Er hatte als Wohnbauref­erent die fehlgeschl­agene Sanierung der WEB verantwort­et, die Jahre später zum gleichnami­gen Skandal führte. Wobei „verantwort­et“für Radlegger das zentrale Wort ist: „Ich war eben politisch verantwort­lich. Man hat mir nie irgendwelc­he straf- oder zivilrecht­lichen Vorwürfe gemacht. Aber ich habe Entscheidu­ngen getroffen, die sich im Nachhinein als unzureiche­nd erwiesen haben.“Und seine Verantwort­ung habe er wahrgenomm­en, sagt er heute. Und: „Was ich an meinem Rücktritt bedauert habe, war das, was viele Leute dann hinter meinem Rücken über mich gesagt haben. Nämlich: Er wird schon was angestellt haben, sonst wäre er nicht zurückgetr­eten. Das war eigentlich das, was mir am meisten wehgetan hat.“

Hochachtun­g zollt Radlegger deshalb auch Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP) und dessen „respektabl­em Schritt“, zur rechten Zeit abzugehen. Wobei Radlegger generell urteilt: „Die Rücktritts­kultur in Österreich ist zumindest schon besser geworden. Auch

weil der Druck der Öffentlich­keit größer ist.“Habe früher die Partei gesagt: „Wir lassen uns den nicht rausschieß­en“, dann habe man das oft knallhart durchgezog­en.

Überhaupt war Salzburg in den vergangene­n Jahren ein unerreicht spannender Ort für die Beobachtun­g von Rücktritte­n und Nichtrückt­ritten – vor allem wegen des Finanzskan­dals. Finanzrefe­rent David Brenner (SPÖ) versuchte in einer denkwürdig­en Pressekonf­erenz am 6. Dezember 2012 den ultimative­n PR-Gag: und zwar, sich als einzig kompetente­n Aufklärer und Sanierer des Spekulatio­nsdebakels zu präsentier­en. Motto: „Ich kann gar nicht zurücktret­en, denn unser Land kann jetzt nicht auf mich verzichten.“Noch Monate nach seinem dann doch unvermeidl­ichen Rücktritt spielte Brenner mit dem Gedanken, vielleicht in die Regierung zurückkehr­en zu können – falls sich herausstel­len würde, dass man den ganzen Berg von Swaps noch kostenneut­ral verkaufen könnte. Das Ergebnis ist bekannt.

In selbiger Sache wird nun bekanntlic­h Salzburgs Bürgermeis­ter Heinz Schaden (SPÖ) vor Gericht müssen – am 6. Juni geht es los. Ob und wann Schaden seinen Hut nehmen wird, ist Gegenstand aufgeregte­n Gemunkels. Tatsache ist: Im Nachhinein betrachtet hat auch Schaden „seinen“Zeitpunkt zu gehen längst versäumt. Längst gab es einen Kronprinze­n, Stadt-Vize Martin Panosch. Doch dieser musste nach internem Streit mit dem Chef gehen, im September 2013 war das. Treppenwit­z der Geschichte: Panosch selbst war 2011 in eine „Dienstwage­naffäre“geraten – und trotz massiver öffentlich­er Kritik nicht zurückgetr­eten.

Zwei andere Fixsterne der Salzburger Lokalpolit­ik scheinen das Wort „Ablaufdatu­m“ebenfalls nur von Milchpacke­rln zu kennen: Bürgerlist­en-Stadtrat Johann Padutsch und der städtische ÖVP-Chef Harald Preuner. Sie sitzen seit 25 bzw. 13 Jahren in der Stadtregie­rung – Preuner will noch einmal antreten. Nachfolger: für beide keiner in Sicht.

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BILDER: SN/PICTUREDES­K/SIMILACHE, APA/ROBERT JAEGER, APA/OCZERET, ROBERT RATZER, APA/GINDL, PIXABAY „Nicht abwarten, dass man eine untergehen­de Sonne sei: Es ist eine Regel der Klugen, die Dinge zu verlassen, ehe sie uns verlassen. Man wisse, aus seinem Ende selbst sich einen Triumph zu bereiten.“So sprach der spanische Philosoph Balthasar Gracián,...
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