Salzburger Nachrichten

Burn-out ist der neue Stress

Wer das Glück hat, einen Job zu haben, sieht sich neuen Gefahren ausgesetzt. Nicht an allen sind die bösen Arbeitgebe­r schuld.

- Helmut Kretzl HELMUT.KRETZL@SALZBURG.COM

Die Zeiten, als Daten vom Arbeitsmar­kt den Österreich­ern ein verlässlic­hes Erfolgserl­ebnis bescherten, sind vorbei. Den Spitzenpla­tz als Land mit einer der niedrigste­n Arbeitslos­enraten der Eurozone haben wir eingebüßt. Und auch wer einen Arbeitspla­tz hat, ist bedroht. Ein Drittel der unselbstst­ändig Beschäftig­ten sieht sich selbst in Gefahr, auszubrenn­en, „in ein Burn-out zu gehen“, heißt das heute. Und noch einmal jeder Dritte hat einen Kollegen, der mit dieser Diagnose bereits im Krankensta­nd war. Arbeitsmed­iziner bestätigen den spürbaren Anstieg bei „ausgebrann­ten“Arbeitnehm­ern, auch die Diagnosen psychische­r Erkrankung­en nehmen zu.

Das klingt alarmieren­d, wenn man sich ansieht, wie Experten die hohen Werte begründen. Da ist die Rede von steigendem Zeitdruck und der seelischen Belastung. Das vermittelt das Bild einer näher kommenden Gefahr, nach dem Motto „Fürchtet euch!“. Doch es ist nicht alles Schwefel, was stinkt. Nimmt man die Zahlen genauer unter die Lupe, stellt sich das Gesamtbild gar nicht mehr so einseitig pessimisti­sch dar.

Da zeigt sich, dass die subjektive Belastung der Arbeitnehm­er seit Jahren abnimmt, dass sich Beschäftig­te also am Arbeitspla­tz weniger belastet fühlen. Gab vor zehn Jahren fast jeder zweite an, er stehe in der Arbeit stark unter Zeitdruck, ist es heute nur jeder vierte, der Wert hat sich also halbiert.

Wie geht das zusammen? Eine Erklärung lautet, dass sich das Leben insgesamt so sehr beschleuni­gt hat, dass nicht mehr speziell die Arbeit als belastend empfunden wird, sondern das hohe Tempo schon als normal erlebt wird.

Einleuchte­nd, wenn man sieht, wie viele Menschen jede freie Minute ihrem Mobiltelef­on widmen, lesen, schreiben, spielen, sich keine Ruhe gönnen. Überhaupt wird es immer schwierige­r, eine Trennlinie zu ziehen zwischen (unfreiwill­ig) berufliche­r und (freiwillig) privater Reizüberfl­utung. Das heißt: Nicht jeder Stress am Arbeitspla­tz ist die Schuld des Arbeitgebe­rs. Daher ist übertriebe­ner Alarmismus ebenso unangebrac­ht wie blauäugig naive Verharmlos­ung.

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