Ein einzigartiges Großprojekt wächst heran
Die „Salzburger Bachmann Edition“setzt neue Maßstäbe im Umgang mit der großen Autorin.
Der Herausgeber der neuen, auf rund vierzig Bände angelegten „Salzburger Bachmann Edition“, Irene Fußl und Hans Höller, befinden sich im Vorteil gegenüber jenen, die die bislang gültige Werkausgabe Ingeborg Bachmanns betreut haben. Sie haben Zugang zum gesperrten Teil des Nachlasses, der bis zum Jahr 2025 einer Sperrfrist hätte unterliegen sollen. Die Erben beschlossen, diese vorzeitig aufzuheben. So ist die private, verletzte Ingeborg Bachmann kennenzulernen, für die Literatur und Leben keine getrennten Sphären bedeuteten, sondern aufeinander angewiesen waren.
Den Auftakt der Werkausgabe, die am Montag in Salzburg präsentiert wurde, bildet ein Buch, das es eigentlich nicht geben dürfte: „Male oscuro – Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit“. Es umfasst Traumaufzeichnungen, Briefe und Entwürfe für Reden ab 1963, als die Verfasserin nach der Trennung von Max Frisch in eine existenzielle Krise gefallen war, die zu einem Selbstmordversuch geführt hatte. Zu der Zeit war sie bereits eine anerkannte Autorin. Sie war das weibliche Gesicht der Gruppe 47, als Dichterin in ihrer Rätselhaftigkeit nicht recht zu fassen. In ihren Träumen taucht oft Frisch in unrühmlicher Rolle auf: „M. Frisch schlägt Frau Oellers, danach einen großen Hund, der sich voller Ergebenheit prügeln lässt.“Wenn nun gegen die Chronologie ein Band erscheint, der Bachmann zu einem Zeitpunkt vorstellt, da sie noch zehn Jahre zu leben hatte, ist das als ein Auftakt zu werten, der mit einem Paukenschlag um Aufmerksamkeit wirbt. Tatsächlich wird aufgerufen, die zur Ikone versteifte Schriftstellerin einer Neubewertung zu unterziehen. Diese Aufzeichnungen stehen am Anfang für den unter dem Titel „Todesarten“vorgesehenen Zyklus, aus dem einzig der Roman „Malina“abgeschlossen werden konnte. Der Rest ist Fragment, und die jetzt vorgestellten Aufzeichnungen bilden die Materialgrundlage für das, was hätte kommen sollen.
Die private Bachmann wird zur öffentlichen Figur. Mit Schrecken muss sie erkennen, dass Max Frisch ihre Person in seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein“ausbeutet. Vier Jahre haben die beiden ein Paar gebildet, jetzt sieht sie sich missbraucht und bloßgestellt. Ausweg findet sie im Schreiben, „Das Buch Goldmann“– unvollendet geblieben und nun als zweiter Band der Werkausgabe erschienen – stellt den Literaturbetrieb als eine mögliche Todesart aus.
Einzigartig ist die Edition nicht nur ihrem Maß an Vollständigkeit, das angestrebt wird. Immerhin sollen auch die Briefwechsel mit Uwe Johnson, Hans Magnus Enzensberger und so problematische wie jener mit Max Frisch verfügbar gemacht werden. Natürlich stellt sich die Frage nach der Diskretion, nach der nachträglichen Verletzung einer ohnehin extrem verletzbaren Persönlichkeit. Im Abstand von Jahrzehnten – Bachmann kam 1973 in Rom ums Leben – hat sich ein gelassener Blick auf die Autorin eingestellt, sodass mit rein voyeuristischer Neugier allein nicht zu rechnen sein wird. Sowieso beutete Bachmann ihr Leben literarisch aus, was die Neuedition einzigartig beleuchtet. Überraschend auch, dass sich die Verlage Suhrkamp und Piper gemeinsam auf die Großedition geeinigt haben. Ermöglicht wird sie, da sämtliche Nachlasskonvolute aus Rom, Klagenfurt und dem Familienbesitz ans Literaturarchiv Salzburg übergeben worden sind, ohne welches in Zukunft in Sachen Bachmann gar nichts geht.