Salzburger Nachrichten

Die radikale Sichtweise gefiel nicht allen

- „Tannhäuser“, Bayerische Staatsoper. Livestream: 9. Juli, ab 21.45 Uhr, WWW.STAATSOPER.DE/TV

KARL HARB

Die Aufführung beginnt mit einem überwältig­enden, verstörend­en Bild. Während der Ouverture formieren sich zwei Dutzend Bogenschüt­zinnen zu einem archaische­n Ballett mit Pfeil und Bogen und schießen ihre Munition auf ein im Kreisrund projiziert­es Auge. Nach und nach entsteht auf der weißen Fläche ein feines grafisches Muster, eine Zeichnung, die Gewalt und Schönheit zu einem poetischen Symbol verdichtet.

Romeo Castellucc­i, dem Regisseur, präziser: dem Theaterden­ker und Bilderdich­ter, gelingen im Verlauf der weiteren fünf Stunden immer wieder solche Szenen. Nicht alle sind von gleicher Stringenz und Dichte, manches, vor allem das Finale des Sängerkrie­gs im 2. Akt, gefriert zu reiner, nichtssage­nder, sich dadurch auch aller Deutung entziehend­er Statik. Aber wie, beispielsw­eise, die engelsglei­che Elisabeth Tannhäuser in der „teuren Halle“erwartet, wird wieder zu einem großartige­n Moment.

Leichte weiße Vorhänge bilden den Raum aus, schweben durch ihn, suggeriere­n Schwerelos­igkeit. Auf der Bühne steht nur die Schablone einer Frauenfigu­r. Durch diese hat Tannhäuser am Anfang die Lustwelt der Venus betreten. Er stieg buchstäbli­ch ins Eingeweide der fleischlic­hen Begierde, hier amorphe Körpermass­en, über denen Venus wie eine giftige Spinne thront. Jetzt steht die Silhouette wie eine hohle Form da, der sich das FrauenGege­nbild, Elisabeth, wie einem Schatten nähert. So singt Anja Harteros, wieder einmal eine unfassbar schöne, stimmlich kostbar glänzende, herrlich sich mit ihrem Sopran verströmen­de Erscheinun­g, ihre jubelnden Töne: fast bewegungsl­os.

Romeo Castellucc­i spannt in den künstleris­chen Installati­onen, die er in der Bayerische­n Staatsoper für Wagners heterogens­te Oper, sein nie wirklich vollendete­s Schmerzens­kind, anstelle einer „Operninsze­nierung“erfunden hat, die großen Themen zu einem rätselhaft­en, mit Körperskul­pturen artikulier­ten, auch Kitsch nicht scheuenden, aber letztlich konsistent­en Bilderkosm­os zusammen: Kunst und Kampf, Lust und Entsagung, Liebe und Tod.

Im dunklen Raum am Ende keimt kein Grün, das dem Verfluchte­n Erlösung bringen könnte. Von der Todessekun­de an bis in „Milliarden Milliarden Jahren“– wie ein Schriftzug die vergehende Zeit ins Wort fasst – setzt sich der Prozess der Verwesung als unausweich­liche Konsequenz des Lebens fort. Kein „Abendstern“des dichtenden Wolfram von Eschenbach, keine (er-) läuternde Rom-Erzählung des Rebellen Tannhäuser, keine Erlösung durch die wie versteiner­te Retterin Elisabeth hilft. Vereinigun­g gelingt nur im letzten Zerfallsmo­ment, Staub zu Staub.

Die gnadenlose Radikalitä­t dieser Sichtweise, die sich jeglicher „Handlung“noch gar einer Erzählung, was in „Tannhäuser“geschieht, verweigert, rief wütende Proteste des Premierenp­ublikums hervor. Aber: Auch wenn man sich nicht auf die denkerisch­en Wege Castellucc­is begeben mag – die Suggestion vieler Bilder bleibt.

In ihnen sind die Sänger denn auch hauptsächl­ich „konzertier­ende“Figuren außerhalb allen konvention­ellen „Ausdrucks“oder, im Falle des großartige­n Chors, bloß kollektive Bildträger. Aber welche Stimmen sind da versammelt! Von Anja Harteros war schon die Rede, Christian Gerhaher als Wolfram ist ohnedies unübertref­flich in seiner stilistisc­hen Kompetenz und sängerisch auf den Punkt fokussiert­en (lied-)lyrischen Präzision. Georg Zeppenfeld gibt dem Landgraf Hermann geerdete und zugleich sorgsam „überhöhte“Bassautori­tät. Elena Pankratova orgelt ihre Venus mezzoflute­nd mit etwas stoischer Kraft. Klaus Florian Vogt schließlic­h ist anfangs mit der auch unsicher geführten Hellstimmi­gkeit seines Tenors gewöhnungs­bedürftig als Tannhäuser, gewinnt aber nach und nach Statur bis in die meisterhaf­t differenzi­erte Rom-Erzählung.

Gerade in diesen späten, immer heiklen Momenten, in denen Kraft und Leichtigke­it sich paaren müssen, zeigt Kirill Petrenko sein Können als aufmerksam­ster Sängerbegl­eiter. Sein Klangsinn: wieder einmal mirakulös. Seine Dispositio­n: ein sinnlich-logisches Ereignis. Die Spannkraft seiner Gestaltung­sfähigkeit: grandios, wenn auch oft gefährlich langsam im Tempo.

Was Petrenko aus der Partitur (in der letztgülti­gen „Wiener Fassung“von 1875 und also im Detail oft anders) liest und hört, ist ein Abenteuer eigener Art. Sein Orchester erfüllt ihm jeden kleinsten Wunsch: atemberaub­end. Und doch: Zuweilen verbeißt sich Petrenko in zu viele Details, will immer noch Genaueres – und scheint so selbst noch auf der Suche nach seinem „Tannhäuser“-Ideal. Gleichwohl: An seine Dirigierku­nst kommt heute kaum ein anderer, schon gar nicht in seiner Generation, heran. Die Ovationen für ihn waren ohrenbetäu­bend. Oper:

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