Salzburger Nachrichten

Knausgard vollendet ein literarisc­hes Monument

Das sechste und letzte Band des autobiogra­fischen Romanproje­kts erscheint auf Deutsch.

- SN, APA „Kämpfen“von Karl Ove Knausgard, 1280 S., Luchterhan­d.

Seine Lebensbeic­hte „Min Kamp“, „Mein Kampf“, zu nennen, dazu gehört Mut. Den hat Karl Ove Knausgard mit seinem 2009 begonnenen, monumental­en Romanzyklu­s zur Genüge bewiesen. Wie die radikale Öffentlich­machung privater Details die norwegisch­e Öffentlich­keit erregte, ist in dem heute auf Deutsch erscheinen­den 1280-seitigen Schlussban­d „Kämpfen“ebenso ein Thema wie Adolf Hitler.

Das 2011 abgeschlos­sene autobiogra­fische Projekt hat den heute 48-jährigen, in Südschwede­n Lebenden in seiner Heimat zum umstritten­en Schriftste­ller und mit über 30 Übersetzun­gen auch weltweit zu einem beachteten Autor gemacht, der für höchste literarisc­he Weihen gehandelt wird. Kürzlich wurde ihm der mit 25.000 Euro dotierte Österreich­ische Staatsprei­s für Europäisch­e Literatur zuerkannt. Er leiste „erbarmungs­los Sezierungs­arbeit der männlichen Seele, wie sie sich unter den Bedingunge­n einer hochzivili­sierten europäisch­en Gesellscha­ft herausgebi­ldet hat“, begründete die Jury ihre Wahl. „Diese Literatur passt gut ins Land von Sigmund Freud.“Darüber hinaus finden sich in Band sechs auch viele Österreich-Bezüge – von der Schilderun­g der sozialen Situation im Wien der Anfangsjah­re des 20. Jahrhunder­ts, als der orientieru­ngslose junge Hitler Arbeit und Anschluss suchte, bis zur Verehrung des von Knausgard hoch geschätzte­n Kollegen Peter Handke.

Mehrere Schichten überlagern sich im letzten Band dieses außergewöh­nlichen Projekts, bei dem im kathartisc­hen Schreibpro­zess das Innerste nach außen gekehrt wird. An der Oberfläche eines ungehemmte­n Schreibflu­sses wechseln sie einander immer wieder ab: minutiöse Schilderun­gen alltäglich­er Vorgänge und lange, über mehrere Dutzend oder hundert Seiten gehende Essays. Sie kreisen um Fragen in Leben und Literatur: Wie wird der einzelne Mensch zu dem, der er ist? Wie lässt sich das literarisc­h abbilden? Wie beeinfluss­t sich das gegenseiti­g? Psychologi­e steht gleichwert­ig neben Literaturu­nd Faschismus­theorie. Knausgard versucht, sich auf die Schliche zu kommen, und behandelt seine dunklen Seiten stellvertr­etend für das Böse an sich. Er landet bei Kain und Abel und dem Holocaust. Nach „Sterben“, in dem sich der traumatisi­erte Autor von einer übergroßen Vaterfigur zu befreien suchte, „Lieben“, „Spielen“, „Leben“und „Träumen“nun also „Kämpfen“. Es ist ein Mehrfronte­nkampf, bei dem die Nerven zum Äußersten angespannt sind und die Umgebung miteinbezo­gen wird. Gekämpft wird um das Funktionie­ren des Familienal­ltags und eine einigermaß­en harmonisch­e, partnersch­aftliche Bewältigun­g von Kindererzi­ehung und Hausarbeit. Gekämpft wird um jede freie Minute, in der sich der Familienva­ter dem Schreiben widmen kann. Gekämpft wird vor allem um Knausgards Schreibans­atz, der während des Entstehens des Schlussban­ds durch den Medienhype um die Veröffentl­ichung des Auftaktbuc­hes manifest wird: Die ungeschütz­te Ehrlichkei­t gegenüber sich selbst verursacht im sozialen Gefüge Irritation­en und Verletzung­en – nicht nur, weil sich alle Beteiligte­n als Romanfigur­en mit ihren echten Namen im Buch wiederfind­en. „Dieser Roman hat allen in meiner Umgebung wehgetan, er hat mir wehgetan, und in einigen Jahren, wenn sie groß genug sind, um ihn zu lesen, wird er meinen Kindern wehtun“, schreibt Knausgard. „Hätte ich ihn noch schmerzhaf­ter werden lassen, wäre er noch wahrer geworden.“ Buch:

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BILD: SN/APA/EPA/BERND VON JUTRCZENKA Karl Ove Knausgard

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