„Ich will neues Feuer entfachen“
Rennrollstuhlfahrer Thomas Geierspichler nimmt Kurs auf die Paralympics 2020.
Der Abschied aus Rio war bitter. Mit einer Virusinfektion, aber ohne Medaillen musste Thomas Geierspichler im September 2016 die Heimreise von den Paralympics antreten. Umso größer ist nun die Vorfreude auf Tokio. Der Salzburger Rennrollstuhlfahrer setzt seine von zahlreichen Siegen und Rekorden geprägte Karriere bis zu den Paralympics 2020 in Japans Hauptstadt fort. Über seine Beweggründe und das bevorstehende Bahnmeeting in der Schweiz erzählt der 41-Jährige im Interview mit den SN. SN: Warum haben Sie sich gleich so ein langfristiges Ziel gesetzt? Geierspichler: Nach Rio wurde mir nach einiger Zeit klar: Ich will neues Feuer entfachen und zu den Paralympics nach Tokio. SN: Was haben die Erlebnisse in Rio damit zu tun? Ein Rennen zu verlieren ist eine Sache, dieses Gefühl war auch nichts Neues für mich. Es gab in meiner Karriere ja nicht nur Siege, sondern auch Niederlagen. In Rio aber musste ich mich kampflos geschlagen geben, ohne Rad-an-Rad-Duell, weil ich krank war. Das kann ich einfach so nicht hinnehmen. Andererseits wurde mir aber auch klar, wie gut es das Schicksal bisher mit mir gemeint hat. Deshalb möchte ich mich in Tokio der Möglichkeit eines Sieges oder einer Niederlage stellen. SN: 2020 sind Sie 44 Jahre alt. Ein Problem in Ihrem Sport? Alter ist nicht das primäre Kriterium in meinem Sport. Vieles hängt von der Leistungsfähigkeit und der Leidensbereitschaft ab. Ich trainiere extreme Umfänge, täglich vier bis sechs Stunden. Körperlich fühle ich mich topfit, und von meiner Trainingserfahrung in all den Jahren kann ich auch nur profitieren. Letztes Jahr zum Beispiel bin ich die 400 Meter so schnell gefahren wie nie zuvor und wurde mit Europarekord Europameister.
Ein Problem, um auf die Frage zurückzukommen, besteht vielmehr durch die teilweise ominösen Klassenzusammenlegungen. Im Behindertensport, also auch beim Rennrollstuhlfahren, kämpfen mittlerweile Athleten mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen gegeneinander. SN: Das Int. Paralympische Komitee (IPC) versucht damit den Behindertensport transparenter zu machen. Die Frage, die ich mir stelle, ist, was ist wichtiger: Transparenz oder Fairness? Im Judo, um ein Beispiel zu nennen, gibt es auch sieben verschiedene Gewichtsklassen. Diese Kritik am IPC möchte ich offen ausüben, aber ich muss die Gegebenheiten so hinnehmen, wie sie sind, und das Beste daraus machen. SN: Das Beste sind Siege und Medaillen. Wie lauten Ihre Ziele für den Saisonstart in der Schweiz? Dort geht es gleich richtig zur Sache. Auf dem Programm stehen Rennen über 400 und 1500 Meter und wenn es der Zeitplan erlaubt, auch über die 100-Meter-Sprintdistanz. Wie jedes Jahr trifft sich zum ersten Mal die komplette Weltelite. Es sind die stärksten US-Amerikaner, Europäer, Japaner und Thailänder dabei. Es herrscht auf alle Fälle WM- und Paralympics-Niveau. Ziel ist es, das Limit für die Weltmeisterschaften von 14. bis 23. Juli im Olympiastadion in London zu erbringen. Und ganz nebenbei sollen die Bahnmeetings in Arbon und Notwill auch Rückschlüsse für die Trainingsausrichtung mit Blick auf Tokio 2020 geben. SN: Das heißt, die Vorbereitungen für die Paralympics in drei Jahren haben längst begonnen? Ja, ich bin voll motiviert und trainiere gut und intensiv. Der Winter war geprägt von Ergometertraining und Krafttraining. Deswegen freue ich mich, endlich auch draußen in der Natur trainieren zu können. Was Sitzposition und Rollverhalten betrifft, muss noch einiges adaptiert werden. Aber ich freue mich auf die Rennen in der Schweiz auch noch aus einem anderen Grund: Dort ist die Atmosphäre besonders, fast wie bei mir zu Hause in Anif: Neben dem Call-Room hört man die Kuhglocken, man riecht das frisch gemähte Heu . . . (lacht) Zur Person:
„Es geht gleich richtig zur Sache.“