Salzburger Nachrichten

Literaturs­tar sucht versteckte Maler-Ikone

Wie kann man Edvard Munch neu entdecken? Vergessen Sie zuallerers­t den „Schrei“, rät der norwegisch­e Schriftste­ller Karl Ove Knausgård.

- Karl Ove Knausgård, Schriftste­ller

Im Museumssho­p kommt man an ihm nicht vorbei. Auf Plakaten und Postkarten, Tellern und Espressota­ssen ist das Motiv verewigt, das die meisten Besucher mit dem norwegisch­en Maler Edvard Munch verknüpfen. In der aktuellen Ausstellun­g des Munch Museet in Oslo sucht man das Gemälde „Der Schrei“derzeit aber vergebens. Als Gastkurato­r hat Karl Ove Knausgård Munchs berühmtest­e Bilder vorübergeh­end im Depot verräumt.

Für seinen radikalen Blick ist Knausgård bekannt. In sechs autobiogra­fischen Romanen sezierte er sein Leben und das seiner Familie, legte akribisch jeden wunden Punkt offen. Das Mammutwerk „Mein Kampf“machte ihn internatio­nal berühmt. Auf Deutsch ist diese Woche der letzte Teil erschienen. In Österreich wird er dafür heuer mit dem Europäisch­en Literaturp­reis ausgezeich­net.

Einen radikalen Blick auf den Künstler, dessen Werk es hütet, wünschte sich auch das MunchMuseu­m von Knausgård. Es bat ihn, sich mit Kuratorin Kari J. Brandtzaeg in den Beständen umzusehen. Was der Autor dort suchte, orientiert­e sich nicht immer an den Kriterien repräsenta­tiver Museumskun­st. Im ersten Raum der Ausstellun­g „Mot Skogen – Knausgård om Munch“(dt.: Zum Wald – Knausgård über Munch) etwa hängt ein großformat­iges Bild, dem anzusehen ist, dass die Leinwand in der Mitte grob zerschnitt­en wurde.

Eine „recht klare Vorstellun­g“habe er gehabt, sagt Knausgård dem norwegisch­en Magazin „D2“: Möglichst wenig sollte in der Schau an jenen Edvard Munch erinnern, den die Besucher so gut zu kennen glauben. Stattdesse­n sollten Bilder, die sonst von den Munch-Ikonen überstrahl­t werden, neue Relevanz bekommen. „Mich fasziniert die Roheit mancher Werke. Er war nicht davon besessen, Bilder unbedingt fertig zu machen.“

Für die Ausstellun­g habe der Autor (und studierter Kunsthisto­riker) darum Exponate gewählt, in denen „das Expressive, das Raue oder Unfertige erkennbar wird“, sagt Tove Sørvåg vom Munch-Museum. „Fast wie ein Buch“habe er die Schau gegliedert. Sie ist in vier Kapitel unterteilt, die von Landschaft­sbildern, also einer hellen, äußeren Umgebung, immer tiefer ins Dunkle und Ungewisse, also in die Seele, führt. Der Wald, der im Ausstellun­gstitel auftaucht, habe „im skandinavi­schen Bewusstsei­n seinen festen Platz. Er steht meist für etwas Unheimlich­es“, erläutert Sørvåg. Aus den abgedunkel­ten Kapiteln führt der Weg aber auch wieder ins Helle: ein Raum voller Porträts von Freunden und Bekannten zeigt ein Gegenbild zum Klischee von Munch, dem Einzelgäng­er. Die meisten Bilder werden nur selten gezeigt, 17 Werke sind überhaupt zum ersten Mal ausgestell­t. Und was ist mit dem „Schrei“?

Aus der Sicht Knausgårds habe das Bild seine ursprüngli­che Kraft verloren, „weil es längst nur mehr als Logo wahrgenomm­en wird“, erläutert Pressespre­cherin Gitte Skilbred. „Er möchte bewirken, dass wir den ,Schrei‘ vorübergeh­end vergessen“. Für die Suche nach dem anderen Munch war die Auswahl riesig: Das Museum verfügt über rund 1500 von Munchs Gemälden. Der Maler (1863–1944) hinterließ sein OEuvre der Stadt.

Dass auch Munch bis zuletzt unbeeindru­ckt vom eigenen Status immer wieder von vorn begann, ist an Bildern wie dem zwei Jahre vor seinem Tod entstanden­en „Painter by the Wall“zu sehen. Es zeigt einen Mann, der ein Haus streicht – ganz ohne die zu erwartende Finesse eines weisen Alterswerk­s. „Dieses Bild zeigt, dass Munch nie aufgehört hat zu suchen“, sagt Tove Sørvåg.

Vielleicht auch deshalb hat der „literarisc­he Rockstar“Knausgård (so steht es im Magazin „D2“) auf Jahreszahl­en oder Titelangab­en völlig verzichtet. Munchs Bilder sollen für sich selbst wirken können, nicht wie ein plakativer Schrei, sondern durchaus leise. Ihren Stimmungen spürt Knausgård auch literarisc­h nach: Zur bis 8. Oktober laufenden Ausstellun­g erschien in Norwegen das Buch „So viel Sehnsucht auf so kleinem Raum“mit Essays und Interviews, die der Autor mit Künstlern geführt hatte.

„Wir können Munchs ,Schrei‘ ja längst nicht mehr als Bild sehen, nur mehr als Ikone.“

 ?? BILD: SN/MUNCH MUSEUM/OVE KVAVIK ?? Der norwegisch­e Schriftste­ller Karl Ove Knausgård im Munch-Museum.
BILD: SN/MUNCH MUSEUM/OVE KVAVIK Der norwegisch­e Schriftste­ller Karl Ove Knausgård im Munch-Museum.

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