Megacity im Nebel
Verkehr, Smog, unkontrolliertes Wachstum. Teheran führt vor Augen, wie sehr der Staat die Kontrolle über die Entwicklung des Landes verloren hat.
Er durfte bei der Präsidentenwahl vor einer Woche nicht antreten: Mahmud Ahmadinedschad, der Hardliner, der von 2005 bis 2013 das Land regiert hatte, wurde von der Kandidatenliste gestrichen. Die Schatten Ahmadinedschads werden aber wohl noch länger über Teheran schweben, hatte der ultrakonservative Politiker der Hauptstadt doch schon vor seiner Präsidentschaft als ihr Bürgermeister seinen Stempel aufgedrückt. Bizarr waren seine Entscheidungen seit jeher – sei es die Schließung von Fast-Food-Restaurants, sei es das Verbot von David-Beckham-Postern im öffentlichen Raum.
Planungspolitisch hatte sich der studierte Bauingenieur und Verkehrsplaner indes weniger hervorgetan, obwohl Teheran bereits damals für eine zukunftstaugliche Entwicklung tief greifender Veränderungen und Investitionen bedurft hätte. Denn von den global zu beobachtenden demografischen Umwälzungen insbesondere in Schwellenländern, verbunden mit einem dramatischen Bedeutungsverlust des ländlichen Raums und einem Boom der Zentren, wurde auch Persien erfasst. So zählte seine Hauptstadt 1979, als Ajatollah Khomeini die „Islamische Republik Iran“ausrief, mit fünf Millionen Einwohnern zwar schon zu den größten Metropolen der Welt, galt dank seiner großzügigen Anlage aber noch als gut funktionierender Ballungsraum – wovon heute keine Rede mehr sein kann. Innerhalb der Stadtgrenzen blieb das Bevölkerungswachstum, auch aufgrund der chronischen Wohnungsknappheit, mit gegenwärtig neun Millionen Einwohnern zwar relativ überschaubar. Faktisch erstreckt sich Teheran mit geschätzten 15 Millionen Einwohnern inzwischen aber bis an die Grenzen der gleichnamigen Provinz.
Wie viele Menschen heute tagtäglich in die Hauptstadt strömen, weiß niemand so genau. Hunderttausende kommen allein aus dem 25 Kilometer entfernten Karadsch – noch vor 20 Jahren eine Kleinstadt, heute ein Siedlungsbrei mit drei Millionen Einwohnern, der als „größte Schlafstadt der Welt“gilt. Gewiss ist dagegen, dass die meisten Einpendler mit Autos oder Bussen ins Zentrum fahren. Im Unterschied zur Bevölkerungsentwicklung ist die Verkehrsentwicklung Teherans recht gut dokumentiert: Knapp sechs Millionen Autos und ebenso viele Motorräder drängen sich in und durch die Stadt. Selbst am späten Abend noch sind fünfspurige Einbahnen heillos verstopft. „Der Verkehr hat totale Formen angenommen“, schildert die Architektur- und Stadtplanungspublizistin Soheila Beski die dramatische Entwicklung. „Die vielen Autos haben Teheran so groß und gleichzeitig aber auch so klein gemacht, dass man an einem Tag nirgendwo anders mehr hinfahren kann als von zu Hause zur Arbeit und wieder zurück.“Damit bringt der Autoverkehr die Stadt um das, was sie eigentlich attraktiv macht – um ihr vielfältiges Angebot, um die kurzfristige Erreichbarkeit aller erdenklichen Ziele.
Noch schwerer wiegen die Folgen für Umwelt und Gesundheit. Die vorherrschende Wetterlage in Teheran heißt seit Jahren schon Smog. So gilt der erste morgendliche Blick vieler Bürger den über 5000 Meter hohen Gipfeln des Albors-Gebirges, über dessen Abhänge sich die iranische Hauptstadt erstreckt. In den südlichen, auf 1100 Meter Seehöhe liegenden Stadtteilen nimmt man die schneebedeckten Bergspitzen ohnehin meist nur schemenhaft wahr. Ist die nahe Gebirgskette aber auch in den nördlichen, reicheren Wohnvierteln auf bis zu 1800 Höhenmetern kaum sichtbar, empfiehlt es sich, zumindest die Kinder im Haus zu lassen. Selbst von offizieller Seite ist von jährlich 10.000 Todesfällen infolge der Luftverschmutzung die Rede. Die Gegenmaßnahmen der Stadtregierung beschränken sich im Wesentlichen auf eine Prämie für jene, die ihr altes Auto durch ein neues ersetzen. Dass die zahllosen Rußschleudern Marke Paykan oder Peugeot 405 deshalb von den Straßen verschwinden, ist allerdings eine Illusion. Bei subventionierten Spritpreisen von 25 Cent je Liter ist ein fahrbarer Untersatz auch für weniger begüterte Teheraner erschwinglich – ja für Zigtausende, die sich als illegale Taxifahrer ihr Geld verdienen, sogar lebenswichtig.
Ihre Dienstleistung kompensiert das unzureichende Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln in Teheran. Omnibusse stecken noch länger im Stau als private Fahrzeuge, da sie nicht spontan auf weniger überfüllte Routen ausweichen können. Das Metro-Netz wiederum beschränkt sich auf drei in den letzten Jahren fertiggestellte Linien – sowie auf die Regionalbahn nach Karadsch. „Eine seriöse Verkehrspolitik für den Großraum Teheran gibt es ebenso wenig wie eine brauchbare Siedlungspolitik für die Agglomeration“, urteilt Firuz Tofigh, vor der Machtübernahme Khomeinis 1979 Minister für Stadtentwicklung. Seit 2002 leitet er das neu gegründete Center of Planning and Studies, das für Teheran eine strategische Stadtentwicklungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik erarbeiten soll. „Eine solche Einrichtung bestand schon vor der Revolution, als die Planungsbehörde noch sachlicher arbeiten konnte. Seit 1979 wird die Stadtentwicklung aber von der Politik dominiert – und deren Ad-hoc-Lösungen, die an den realen Problemen der Stadt vorbeigehen.“
Die langfristig größte Gefahr sieht der Planer im Bodenverbrauch durch das rasante Wachstum der Agglomeration. „Nur 15 bis 20 Prozent des Staatsgebiets sind überhaupt fruchtbar – insbesondere das Umland der gewachsenen Zentren, die natürlich dort entstanden sind, wo es ausreichend Ackerland gab“, erklärt Tofigh. „Damit frisst die Ausdehnung unserer Stadtregionen die kostbarsten Böden auf.“Teheran und Karadsch sind beinahe schon zusammengewachsen. Gemeinsame Planungen gestalten sich deshalb aber nicht leichter, zumal die iranische Hauptstadt keinerlei Einfluss auf die umgebenden Städte und Provinzen hat.
Echte Verbesserungen sind für Jahanshah Pakzad, Professor für Stadtgestaltung, allerdings nur durch eine Demokratisierung der Stadtplanung möglich, denn solange es keinerlei mediale und zivilgesellschaftliche Kontrolle der Kommunalpolitik gäbe, könne diese nach Belieben schalten und walten. „Das größte Übel dabei ist der Ausverkauf Teherans an Investoren und Spekulanten, der 1987 unter Bürgermeister Karbastschi begonnen hat und bis heute andauert“, kritisiert Pakzad. „Dadurch verliert die Stadt mehr und mehr ihren Charakter.“In Karbastschis Amtszeit fielen unter anderem der Bau monströser Stadtautobahnen, dem ein ganzer Bezirk geopfert wurde, sowie der Bau zahlreicher, oft spekulativ errichteter Hochhäuser, die in völligem Wildwuchs traditionelle Strukturen zerstörten.
„Andererseits“, relativiert der aus Teheran stammende und heute in Wien lebende Architekt Nariman Mansouri, „sorgte Karbastschi für die Errichtung von Kulturzentren und öffentlichen Parks, wodurch auch ärmere Bezirke aufgewertet wurden.“Kennzeichnend sei in jedem Fall seine „pragmatische“Vorgehensweise gewesen, oft informell und an den Mühlen der Bürokratie vorbei. Dies erlaubte ihm, die im Iran bis dahin übliche Vorlaufzeit von Großprojekten von durchschnittlich 14 Jahren merklich zu verkürzen, brachte aber schließlich den allmächtigen Staatsapparat gegen ihn auf: 1998 wurde der eigenwillige Kommunalpolitiker wegen „Missbrauchs öffentlicher Mittel“und „schlechter Amtsführung“zu fünf Jahren Haft, 60 Peitschenhieben sowie einer hohen Geldstrafe verurteilt – und mit einem zwanzigjährigen Betätigungsverbot in öffentlichen Ämtern bestraft. Gemessen daran, ist Nachfolger Ahmadinedschad nun recht glimpflich davongekommen.