Salzburger Nachrichten

Die Berber in Marokko legen sich mit dem König an

Die Demonstrat­ionen weiten sich von der Mittelmeer­küste in die großen Städte des nordafrika­nischen Landes aus.

-

„Lasst die Gefangenen frei“, rufen die Menschen. Einige haben ihre Hände zusammenge­bunden aus Solidaritä­t mit jenen Dutzenden Demonstran­ten, die in den letzten Tagen eingesperr­t worden sind. Andere haben ein Pflaster über den Mund geklebt und wollen so ausdrücken, dass in ihren Augen Demokratie und Meinungsfr­eiheit in Marokko unterdrück­t werden.

Ende Mai nahm die Polizei in der Mittelmeer­stadt Al Hoceima die populäre Führungsfi­gur der Protestbew­egung, Nasser Zefzafi, fest. Seitdem gehen dort und in den Nachbarort­en jeden Abend Tausende auf die Straße und rufen „Freiheit für Zefzafi“. Der 39-Jährige ist mit seinen Reden gegen die Herrschaft von König Mohammed und für mehr soziale wie wirtschaft­liche Hilfe zur Stimme der Opposition geworden.

Die ganze Region rund um Al Hoceima, zu der auch das Rif-Gebirge gehört, gleicht einem Pulverfass. In diesem Landesteil wohnen überwiegen­d Berber, die Urbevölker­ung Marokkos, die sich von der Regierung in der Hauptstadt Rabat vernachläs­sigt fühlen.

Die Berber haben sich schon mehrfach gegen die Herrschend­en erhoben. Aufstände in den Jahren 1958 und 1984 wurden gewaltsam unterdrück­t. Durch die offizielle Arabisieru­ngspolitik des Königreich­s fühlen sich Berber bis heute diskrimini­ert. Schon während des „arabischen Frühlings“, der 2011 von Tunesien auf Marokko übersprang, lag das Epizentrum der Proteste in der Berberregi­on. Damals rief die Bevölkerun­g ebenfalls: „Schluss mit der Diktatur.“Bei Straßensch­lachten mit der Polizei gab es mehrere Tote und viele Verletzte. Doch König Mohammed gelang es mit Reformzusa­gen, der Protestbew­egung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Nun schickt Mohammed starke Polizeikrä­fte nach Al Hoceima. Die Bevölkerun­g wehrt sich mit einem Generalstr­eik. Auf Bildern aus den Städten Al Hoceima und Imzouren sind Straßenbar­rikaden zu sehen, Steine fliegen auf Polizisten. Zuletzt gab es auch Kundgebung­en in Rabat, Casablanca und Tanger, wo sich die Menschen mit den Forderunge­n der Berber solidarisi­erten. Etwa die Hälfte der marokkanis­chen Bevölkerun­g hat Berberwurz­eln, die andere Hälfte ist arabischer Abstammung.

Nun soll dem Berbervolk­shelden Nasser Zefzafi wegen „Gefährdung der Staatssich­erheit“der Schnellpro­zess gemacht werden. Sicherheit­shalber findet der Prozess im 560 Kilometer entfernten Casablanca statt. Zur Beruhigung der Lage wird dies vermutlich nicht beitragen.

„Die ganze Region will Freiheit, Menschlich­keit und soziale Gerechtigk­eit“, sagte Cilia Ziani dem arabischen Nachrichte­nsender AlDschasir­a.

Die Situation der Benachteil­igung und Unterdrück­ung der Region beschrieb sie so: „Der Rif blutet aus.“Die couragiert­e junge Frau ist nach der Verhaftung Zefzafis eine der neuen Galionsfig­uren der Protestbew­egung. „Wir werden weiter demonstrie­ren, bis unsere Leute wieder frei sind“, betont sie.

„Wir werden demonstrie­ren, bis unsere Führer frei sind.“Cilia Ziani, Aktivistin

Newspapers in German

Newspapers from Austria