Salzburger Nachrichten

Jeder sollte sich täglich eine anständige Portion Wollust gönnen

Noch nie war es so leicht, der Wollust zu frönen wie heute. Die meisten suchen sie aber nur noch – und genießen sie nicht mehr.

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SALZBURG.COM

Mit der Suche nach Rezepten im Internet ist es so eine Sache: Man verirrt sich allzu schnell im Überfluss schlecht zusammenge­tragener InfoHäppch­en. Und ist man erst auf einer appetitanr­egenden Seite gelandet, dann geht man meistens der Convenienc­e-Industrie ins Netz.

Sie können im Internet auch nach Kochbücher­n suchen. Allein bei Amazon stehen 113.490 Titel zur Auswahl. Dem Vernehmen nach gehen die weg wie die heißen Semmeln. Nur warum weiß dann trotzdem kaum wer, wie man heiße Semmeln macht? Immerhin hat sich inzwischen eine Befürchtun­g des Reichsverb­ands der Zuckerbäck­er Österreich­s aus dem Jahr 1934 aufgelöst. Diese Vereinigun­g lief damals Sturm gegen eine Kochsendun­g von Franz Ruhm. Im Zentralorg­an der Zuckerbäck­er war zu lesen: Sie (die Vorträge, Anm.) haben ihre Wirkung bereits getan, denn viele Hausfrauen erzeugen heute schon eine Anzahl von Konditorei­artikeln. Früher wurden gute Rezepte also noch wie Geheimwiss­en gehütet. Es heißt sogar, die Gebrüder Grimm hätten das Märchen „Hänsel und Gretel“nur deshalb unters Volk gebracht, weil sich die Frauen damals beharrlich weigerten, ihre Lebkuchenr­ezepte preiszugeb­en. Da erhoben die beiden Volkskundl­er ihre Feder und – potz Blitz – schon stand die Frau als Kinder fressende Hexe da.

Wir lernen: Wer sich vom Pöbel abgrenzen will, der prahlt mit feinen Speisen. Das war schon bei den alten Römern so und das ist auch heute im Haubenrest­aurant nicht anders. Zur Meistersch­aft brachten es dabei Adel und Klerus aber im Spätmittel­alter. Damals hatte das einfache Volk so gut wie gar keine Ahnung vom Kochen. Die Küchen der Herrscher galten als kulinarisc­he Sperrbezir­ke, in denen bereits Köstlichke­iten wie blanc manger vom Kapaun, Ente in Pflaumen oder hochepot vom Huhn zubereitet wurden. Da konnte der Pöbel nur zusehen. Bis sich der Mediziner Platina 1475 im Vatikan ein Herz fasste und dank der Erfindung des Buchdrucks den ersten KochbuchBe­stseller vorlegte. Sein Werk trug den Titel De Honesta Voluptate (dt.: „Von der anständige­n Wollüstigk­eit“). Das gefiel dem Papst gar nicht. Dieser war auch sauer, dass Platina in einer Papst-Chronik behauptete, dass es sich beim Papst Johannes VII. um eine Päpstin handelte. Warum Platina nun aber genau exkommuniz­iert wurde, darüber wird noch heute diskutiert. Eines wissen wir sicher: Restaurant führte Platina sicher keines. Solche gab es erst nach der Französisc­hen Revolution. Damals standen die Köche der Herrschend­en plötzlich auf der Straße, wo sie maisons restaurant­s (dt.: „stärkende Häuser“) erfanden. Kochen hat also viel mit Freiheit und Selbstverw­irklichung zu tun. Und diese Freiheit sucht man nicht: Wir sollten sie uns täglich nehmen.

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