Salzburger Nachrichten

„Es geht nicht ohne EU-Finanzmini­ster“

Eine gemeinsame Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik könnte die Geburtsfeh­ler des Euro beheben. Aber wie soll mehr Macht für Brüssel politisch durchgeset­zt werden? Wo kann das Vertrauen dafür wachsen?

- JOSEF BRUCKMOSER Können die Geburtsfeh­ler des Euro durch eine zentrale Finanzpoli­tik behoben werden?

Die Salzburger Politikwis­senschafte­rin Sonja Puntscher-Riekmann analysiert im SN-Gespräch die Kompetenz- und Demokratie­defizite der Europäisch­en Union. SN: Warum wird die EU so krisenhaft und gespalten erlebt? Puntscher-Riekmann: Man kann nicht die EU ohnmächtig belassen in entscheide­nden Bereichen und zugleich Lösungen von ihr erwarten. Konkret: Ohne stärkere Zentralisi­erung der Fiskalpoli­tik sind die Probleme der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion nicht zu lösen. Aber all das bedarf einer neuen Verfassung­sdebatte. SN: Das heißt, wir brauchen einen europäisch­en Finanzmini­ster und EU-Steuern? Eine Zentralisi­erung der Geldpoliti­k kann nicht funktionie­ren, wenn die fiskalisch­en und sozialen Kompetenze­n Sache der Mitgliedss­taaten bleiben. Dafür bräuchten wir einen europäisch­en Finanzmini­ster und allenfalls europäisch­e Steuern – wobei sofort zu sagen ist, dass man neue Steuern nicht auf vorhandene draufdoppe­ln kann. Es sind aber Ausgleichs­zahlungen nötig, wenn die wirtschaft­liche Entwicklun­g der Mitgliedss­taaten aus der Balance gerät. Dafür ist das derzeitige Budget der EU viel zu klein.

Sogar die sehr liberalen Vereinigte­n Staaten von Amerika haben sich darauf verständig­t, dass es einen Ausgleich zwischen den stärkeren und schwächere­n Gliedstaat­en geben muss. Das haben sie mit der Finanzkris­e 1929 begriffen. Daher gibt es jetzt eine Arbeitslos­enversiche­rung für alle US-Bundesstaa­ten. Das wäre auch für die EU ein Ansatz: eine europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung, die etwa auf zwölf Monate begrenzt sein könnte. SN: Die EU hatte verbindlic­he Budgetrege­ln. Die haben Frankreich und Deutschlan­d als Erste gebrochen. Ausgerechn­et sie sollen jetzt die EU retten. Frankreich und Deutschlan­d haben in dieser Frage tatsächlic­h ein denkbar schlechtes Beispiel gegeben. Es war im Übrigen auch kein Geheimnis, dass Griechenla­nd seine Budgetzahl­en gefälscht hatte. Das wussten alle, die es wissen wollten. Aber alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen. SN: Die Forderung nach mehr Kompetenze­n für Brüssel kommt daher bei den EU-Bürgerinne­n und -Bürgern schlecht an. Viele Bürgerinne­n und Bürger der EU haben den Eindruck, dass es ein schwarzes Loch gibt, dass sie über die Vorgänge in Brüssel weder etwas erfahren noch dass sie darauf Einfluss haben. SN: Dazu kommt die Erfahrung: Am Ende schützt mich nur mein Nationalst­aat, sei es in der Flüchtling­skrise oder bei sozialen Leistungen. In der Flüchtling­skrise hätte die EU viel mehr tun können, aber die Mitgliedss­taaten wollten keine gemeinsame Flüchtling­spolitik. Das ist das ständige böse Spiel, das die Mitgliedss­taaten treiben: die EU für alles schuldig zu sprechen, aber die eigene Verantwort­ung nicht zu sehen. Deshalb haben die Bürgerinne­n und Bürger den Eindruck, dass sie nur der Nationalst­aat schützt. SN: Muss es in der EU ein Mehrheitsr­echt geben? Mehrheitsr­echte gibt es auch jetzt schon. Diese auf weitere Bereiche auszudehne­n ist aber nur unter der Voraussetz­ung einer ganz anderen Demokratis­ierung der Europäisch­en Union legitimier­bar. Das Parlament muss gestärkt werden, der EU-Rat und der Europäisch­e Rat müssen dem Parlament verantwort­lich sein und alle EU-Abgeordnet­en müssen sich vor ihren Wählerinne­n und Wählern verantwort­en. Demokratie heißt Entscheidu­ngen rechtferti­gen. Das gilt besonders in der Fiskalpoli­tik: Keine Steuern ohne gewählte politische Vertretung. Das ist eine klassische politische Legitimati­onsfrage. SN: Was müssen Angela Merkel und Emmanuel Macron tun? Entscheide­nd wird sein, wie die extrem EU-kritische AfD bei der deutschen Wahl abschneide­t. Auch die EU-Skepsis in Frankreich ist mit dem Sieg Macrons nicht aufgelöst.

Was die wesentlich­en Weichenste­llungen betrifft, gibt es bei Macron mehr als bei Merkel die Idee, die Fiskalpoli­tik stärker zu zentralisi­eren, unter anderem durch ein deutlich höheres EU-Budget. Der nächste Schritt wären dann die sogenannte­n Eurobonds. Aber zum ersten Mal seit Langem schließt auch Merkel eine Vertragsän­derung nicht mehr aus und hat nach dem G7-Gipfel von der Notwendigk­eit gesprochen, das Schicksal Europas in die eigene Hand zu nehmen. SN: Das heißt, dass der Norden für den Süden zahlt. Halten Sie das für unverlässl­ich? Ausgleichs­zahlungen sind bei einer gemeinsame­n Währung unerlässli­ch. Aber was heißt „der Norden zahlt für den Süden“? Italien ist ein Nettozahle­r in der EU. Italien hat zwar eine sehr hohe Verschuldu­ng, aber das wird nur dann zum Problem, wenn sich ein Staat so wie Griechenla­nd nicht mehr auf den Finanzmärk­ten refinanzie­ren kann.

Richtig ist, dass der Süden ein Produktivi­tätsproble­m hat. Die europäisch­en Staaten haben seit 1945 sehr unterschie­dliche Formen von Kapitalism­us aufgebaut. Dem Norden kommt zugute, dass es strukturie­rte Verhandlun­gen zwischen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern gibt. Das sind hilfreiche Balancieru­ngs-Akteure. Dagegen sind in Frankreich oder Italien die Gewerkscha­ften wie die Arbeitgebe­r sehr zersplitte­rt. Das erschwert den Konsens über Löhne, Arbeitslos­engeld oder Pensionen.

In Frankreich wird es sehr große Überzeugun­gskraft brauchen, um die 35-Stunden-Woche rückgängig zu machen und das Pensionsal­ter um zwei Jahre zu erhöhen. SN: Viele Menschen haben den Eindruck, in der EU geht es immer wieder um den Abbau von Sozialleis­tungen. Die sogenannte Troika hat in Griechenla­nd tatsächlic­h bis ins Detail hineinregi­ert und Sozialleis­tungen abgebaut. Das hat das Misstrauen zwischen Nord und Süd extrem gesteigert. Verschärfe­nd kam dann die Flüchtling­skrise dazu.

Es braucht auch eine andere Form der Kommunikat­ion, die nicht ohne die nationalen Parlamente möglich ist. Zwei Kollegen haben die österreich­ischen Parlamenta­rierinnen und Parlamenta­rier befragt, wie sie die Europapoli­tik mit ihren Wählerinne­n und Wählern kommunizie­ren. Die Antwort war: Das ist nicht unsere Aufgabe, das muss das EU-Parlament machen.

Das EU-Parlament kann das aber nicht allein schaffen. Wir brauchen auch Kommunikat­oren der EU-Politik in den Mitgliedss­taaten. Und Debatten, aus denen zu erkennen ist, was die Menschen bereit sind, an die EU abzugeben, und was nicht. SN: Wie viel Macht muss nach Brüssel abgegeben werden? Notwendig ist neben einem europäisch­en Finanzmini­ster mit Durchgriff­s- und Kontrollre­chten ein EU-Parlament, das diesem Finanzmini­ster als Kontrollor­gan gegenübers­teht. Es braucht gemeinsame Mindeststa­ndards in allen Sozialbere­ichen. Und es ist eine gemeinsame Sicherheit­s- und Außenpolit­ik erforderli­ch, vor allem im Sinne einer Nachbarsch­aftspoliti­k, die zur Stabilisie­rung der Umgebung Europas in Nahost und in Afrika beiträgt. Dazu braucht es auch einen europäisch­en Außenminis­ter.

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BILD: SN/
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