Bienen bringen Glück nach Linz
Wie wird in Städten mit immer mehr Single-Haushalten ein gutes Zusammenleben möglich? Linz liefert Ideen.
LINZ. Das Wald- und Wiesenwesen Biene ist Stadtbewohnerin geworden. In Linz werden seit fünf Jahren Bienenvölker betreut – bei Rathaus und Dom, in Puchenau und auf dem Pöstlingberg, beim Autohaus Wipplinger Steyregg und am Linzer Hafen. Großstadtbienen sind ein junges Phänomen, doch schon ist es museumsreif: Das Nordico präsentiert es in seiner neuen Ausstellung.
„LinzerBiene“nennt sich die – laut Website – „Plattform für moderne, urbane Imkerei“. Sie hat sich einer „Vision für innerstädtisches Imkern im öffentlichen und halböffentlichen Raum“verpflichtet. Die Sorten, die das Glücksgefühl der Süße erzeugen, werden nicht nach Akazie, Linde und Löwenzahn unterschieden, sondern heißen „Barbarafriedhof“, „Mariendom“, „Froschberg“und „Hafengarten“. Folglich lautet der Titel für eine Honigverkostung im Begleitprogramm der seit gestern, Freitag, zugänglichen Ausstellung: „Wie süß schmeckt mein Stadtteil?“
Neben Honig taugen sogar Austernpilze als Ausstellungsstücke! Dazu gibt es eine Hör- und Schaustation über die Pilzmanufaktur Hut & Stiel. Dafür strampeln zwei Oberösterreicher, Florian Hofer und Manuel Bornbaum aus Vöcklabruck, nun in Wien mit Lastenfahr- rädern zu Cafés, Restaurants und Altersheimen, um Kaffeesud abzuholen. In dem züchten sie Austernpilze, die sie dann frisch oder zu Sugo, Pesto und Aufstrich verarbeitet verkaufen. Rohstoff haben sie genug: Pro Tag wird in Wien heißes Wasser durch angeblich 44 Tonnen Kaffee gepresst oder gegossen.
Man geht doch ins Museum, um Bilder, Skulpturen, Münzen oder historische Dokumente zu besichtigen! Wie passen Schwammerl und Honig zu Kunst und Kultur? „Wir als Museum empfinden uns als Gastgeber; wir laden Menschen ein, ihre Geschichten in unserem Haus anderen mitzuteilen“, sagt Andrea Bina, Direktorin des Nordico. „Archäologie und Kunst machen wir auch“, doch diese klassischen Museumsbereiche würden regelmäßig abgewechselt mit Zeitgeschichte und aktuellem Geschehen. In dieses gehört die Schau über neuartiges städtisches Zusammenleben.
Kuratorin Klaudia Kreslehner und sie seien zum einen von den Berliner „Prinzessinnengärten“inspiriert worden. Das ist jene Brachfläche in Kreuzberg, auf der Anrainer seit 2009 eine neuartige Landwirtschaft pflegen: gemeinsamer wie gemeinnütziger Gemüse- und Kräuteranbau zwischen Asphalt und Wohnblöcken. Die Beete in ausrangierten Bäckerkisten und Tetrapackgefäßen sind tragbar. Übrigens präsentiert auch die Linzer Ausstellung ein Gartenprojekt: Im Leisenhofgarten beim Petrinum wird Gemüse anthroposophisch angebaut, also gemäß der Philosophie Rudolf Steiners. Dort würden zum Beispiel keine Motoren eingesetzt, erzählt Andrea Bina. Sogar das Mähen mit der Sense werde praktiziert und unterrichtet. „Da ist alles langsamer, das ist eine andere Welt.“
Zum anderen hat Stefan Sagmeisters „Glück“-Ausstellung 2015/16 im MAK in Wien den beiden Linzer Ausstellungsmacherinnen so imponiert, dass sie ihrer Schau den Titel „Wege zum Glück“gegeben haben. Allerdings ergründen sie nicht das subjektive, spontane Glücksgefühl, sondern zeigen 35 Projekte über „Nachbarschaft, Gemeinschaft, nachhaltige Ernährung, interdisziplinäre Nutzung des urbanen Raums, Innovation und Selbstermächtigung“.
Die hier zu entdeckenden städtischen Projekte werden auf neuartige Weise uralten menschlichen Wesenszügen gerecht. Imkern und Gärtnern bezeugen Naturverbundenheit. Recyceln, Reparieren und Tauschen entlarven ökologische Verantwortung. Und sogar bei zunehmender Zahl von Single-Haushalten gibt es offenbar hilfsbereites Miteinander, wie an Kontaktbörsen, an der Gemeinschaft von „LebensmittelretterInnen“oder an Zeichenstunden für unbegleitete junge Flüchtlinge deutlich wird.
Alle Projekte sind von Idealisten angestoßen. Den meisten inhärent sei die Kritik an den „modernen Mythen“von Fortschritt, Wachstum und Lohnarbeit, erläutert Andrea Bina. Initiatoren und Mitwirkende wollten meist nur so viel Geld verdienen, „dass sie über die Runden kommen“. Es geht also nicht um Reichtum in Geld, sondern im guten Zusammenleben. Anders gesagt: Es geht um Kultur.
Dafür macht sich das Nordico zum Treffpunkt. Für „Wege zum Glück“ist eine Leseecke mit Büchern über Glück, Stadtleben und Recyceln eingerichtet. Zu allen Projekten gibt es Informationskarten zum Mitnehmen. Auf dem NordicoVorplatz steht ein Schrank als Kostnix-Laden; hier kann man nicht Gebrauchtes abgeben und Nützliches nehmen. Die Salz- und Pfefferstreuer von Alessi, am Donnerstag dort noch gesehen, waren am Freitag schon weg. Dafür warteten „Harry Potter“-DVDs und ein 3D-Puzzle eines Dornröschenschlosses. Zudem ist dort ein Bücherschrank: Ausgelesenes darf man hineinstellen, noch nicht Gelesenes mitnehmen. Derzeit sind verfügbar: Lucy Dillons Roman „Das kleine große Glück“und der Katalog „Opera Austria. Brüchige Perspektiven. Kunst im Herzen Europas“.
Sogar für Radler ist das Nordico jetzt attraktiv. Anlässlich der „Wege zum Glück“hat die Stadt Linz hier die erste von zehn Rad-Service-Stationen mit Pumpe und Werkzeug aufgebaut. Eine „Bike-Kitchen“, also eine offene Reparaturwerkstatt, wird am 22. Juni eine Begleitveranstaltung zur Ausstellung.
Tags darauf präsentiert sich ein weiteres Projekt: Es heißt „Zquetschte Zwetschkn“. Um die Vergeudung von Lebensmitteln zu verhindern, werden Einkoch-Sessions veranstaltet – meist über soziale Netzwerke organisiert, am 23. Juni vom Museum Nordico.
Dieses lockt nicht nur an, sondern bietet auch Exkursionen zu urbanen Gemeinschaften – etwa zum Egon-Hofmann-Haus, wo der Kulturring der Wirtschaft seit 1957 Künstlerateliers zur Verfügung stellt, zum Leisenhofgarten oder zur Bürgerinitiative im Domviertel.
„Die Ausstellung lädt zum Mitmachen ein.“Andrea Bina, Nordico-Direktorin