Salzburger Nachrichten

Bienen bringen Glück nach Linz

Wie wird in Städten mit immer mehr Single-Haushalten ein gutes Zusammenle­ben möglich? Linz liefert Ideen.

- Ausstellun­g: „Wege zum Glück – Linz neugedacht und selbstgema­cht“, Stadtmuseu­m Nordico, Linz, bis 5. November.

LINZ. Das Wald- und Wiesenwese­n Biene ist Stadtbewoh­nerin geworden. In Linz werden seit fünf Jahren Bienenvölk­er betreut – bei Rathaus und Dom, in Puchenau und auf dem Pöstlingbe­rg, beim Autohaus Wipplinger Steyregg und am Linzer Hafen. Großstadtb­ienen sind ein junges Phänomen, doch schon ist es museumsrei­f: Das Nordico präsentier­t es in seiner neuen Ausstellun­g.

„LinzerBien­e“nennt sich die – laut Website – „Plattform für moderne, urbane Imkerei“. Sie hat sich einer „Vision für innerstädt­isches Imkern im öffentlich­en und halböffent­lichen Raum“verpflicht­et. Die Sorten, die das Glücksgefü­hl der Süße erzeugen, werden nicht nach Akazie, Linde und Löwenzahn unterschie­den, sondern heißen „Barbarafri­edhof“, „Mariendom“, „Froschberg“und „Hafengarte­n“. Folglich lautet der Titel für eine Honigverko­stung im Begleitpro­gramm der seit gestern, Freitag, zugänglich­en Ausstellun­g: „Wie süß schmeckt mein Stadtteil?“

Neben Honig taugen sogar Austernpil­ze als Ausstellun­gsstücke! Dazu gibt es eine Hör- und Schaustati­on über die Pilzmanufa­ktur Hut & Stiel. Dafür strampeln zwei Oberösterr­eicher, Florian Hofer und Manuel Bornbaum aus Vöcklabruc­k, nun in Wien mit Lastenfahr- rädern zu Cafés, Restaurant­s und Altersheim­en, um Kaffeesud abzuholen. In dem züchten sie Austernpil­ze, die sie dann frisch oder zu Sugo, Pesto und Aufstrich verarbeite­t verkaufen. Rohstoff haben sie genug: Pro Tag wird in Wien heißes Wasser durch angeblich 44 Tonnen Kaffee gepresst oder gegossen.

Man geht doch ins Museum, um Bilder, Skulpturen, Münzen oder historisch­e Dokumente zu besichtige­n! Wie passen Schwammerl und Honig zu Kunst und Kultur? „Wir als Museum empfinden uns als Gastgeber; wir laden Menschen ein, ihre Geschichte­n in unserem Haus anderen mitzuteile­n“, sagt Andrea Bina, Direktorin des Nordico. „Archäologi­e und Kunst machen wir auch“, doch diese klassische­n Museumsber­eiche würden regelmäßig abgewechse­lt mit Zeitgeschi­chte und aktuellem Geschehen. In dieses gehört die Schau über neuartiges städtische­s Zusammenle­ben.

Kuratorin Klaudia Kreslehner und sie seien zum einen von den Berliner „Prinzessin­nengärten“inspiriert worden. Das ist jene Brachfläch­e in Kreuzberg, auf der Anrainer seit 2009 eine neuartige Landwirtsc­haft pflegen: gemeinsame­r wie gemeinnütz­iger Gemüse- und Kräuteranb­au zwischen Asphalt und Wohnblöcke­n. Die Beete in ausrangier­ten Bäckerkist­en und Tetrapackg­efäßen sind tragbar. Übrigens präsentier­t auch die Linzer Ausstellun­g ein Gartenproj­ekt: Im Leisenhofg­arten beim Petrinum wird Gemüse anthroposo­phisch angebaut, also gemäß der Philosophi­e Rudolf Steiners. Dort würden zum Beispiel keine Motoren eingesetzt, erzählt Andrea Bina. Sogar das Mähen mit der Sense werde praktizier­t und unterricht­et. „Da ist alles langsamer, das ist eine andere Welt.“

Zum anderen hat Stefan Sagmeister­s „Glück“-Ausstellun­g 2015/16 im MAK in Wien den beiden Linzer Ausstellun­gsmacherin­nen so imponiert, dass sie ihrer Schau den Titel „Wege zum Glück“gegeben haben. Allerdings ergründen sie nicht das subjektive, spontane Glücksgefü­hl, sondern zeigen 35 Projekte über „Nachbarsch­aft, Gemeinscha­ft, nachhaltig­e Ernährung, interdiszi­plinäre Nutzung des urbanen Raums, Innovation und Selbstermä­chtigung“.

Die hier zu entdeckend­en städtische­n Projekte werden auf neuartige Weise uralten menschlich­en Wesenszüge­n gerecht. Imkern und Gärtnern bezeugen Naturverbu­ndenheit. Recyceln, Reparieren und Tauschen entlarven ökologisch­e Verantwort­ung. Und sogar bei zunehmende­r Zahl von Single-Haushalten gibt es offenbar hilfsberei­tes Miteinande­r, wie an Kontaktbör­sen, an der Gemeinscha­ft von „Lebensmitt­elretterIn­nen“oder an Zeichenstu­nden für unbegleite­te junge Flüchtling­e deutlich wird.

Alle Projekte sind von Idealisten angestoßen. Den meisten inhärent sei die Kritik an den „modernen Mythen“von Fortschrit­t, Wachstum und Lohnarbeit, erläutert Andrea Bina. Initiatore­n und Mitwirkend­e wollten meist nur so viel Geld verdienen, „dass sie über die Runden kommen“. Es geht also nicht um Reichtum in Geld, sondern im guten Zusammenle­ben. Anders gesagt: Es geht um Kultur.

Dafür macht sich das Nordico zum Treffpunkt. Für „Wege zum Glück“ist eine Leseecke mit Büchern über Glück, Stadtleben und Recyceln eingericht­et. Zu allen Projekten gibt es Informatio­nskarten zum Mitnehmen. Auf dem NordicoVor­platz steht ein Schrank als Kostnix-Laden; hier kann man nicht Gebrauchte­s abgeben und Nützliches nehmen. Die Salz- und Pfefferstr­euer von Alessi, am Donnerstag dort noch gesehen, waren am Freitag schon weg. Dafür warteten „Harry Potter“-DVDs und ein 3D-Puzzle eines Dornrösche­nschlosses. Zudem ist dort ein Bücherschr­ank: Ausgelesen­es darf man hineinstel­len, noch nicht Gelesenes mitnehmen. Derzeit sind verfügbar: Lucy Dillons Roman „Das kleine große Glück“und der Katalog „Opera Austria. Brüchige Perspektiv­en. Kunst im Herzen Europas“.

Sogar für Radler ist das Nordico jetzt attraktiv. Anlässlich der „Wege zum Glück“hat die Stadt Linz hier die erste von zehn Rad-Service-Stationen mit Pumpe und Werkzeug aufgebaut. Eine „Bike-Kitchen“, also eine offene Reparaturw­erkstatt, wird am 22. Juni eine Begleitver­anstaltung zur Ausstellun­g.

Tags darauf präsentier­t sich ein weiteres Projekt: Es heißt „Zquetschte Zwetschkn“. Um die Vergeudung von Lebensmitt­eln zu verhindern, werden Einkoch-Sessions veranstalt­et – meist über soziale Netzwerke organisier­t, am 23. Juni vom Museum Nordico.

Dieses lockt nicht nur an, sondern bietet auch Exkursione­n zu urbanen Gemeinscha­ften – etwa zum Egon-Hofmann-Haus, wo der Kulturring der Wirtschaft seit 1957 Künstlerat­eliers zur Verfügung stellt, zum Leisenhofg­arten oder zur Bürgerinit­iative im Domviertel.

„Die Ausstellun­g lädt zum Mitmachen ein.“Andrea Bina, Nordico-Direktorin

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BILD: SN/MUSEUM NORDICO/LINZERBIEN­E Bienen erbrächten „unersetzli­che Leistung im Ökosystem“, erläutern die Experten von LinzerBien­e.

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