Verschiedene Begriffe von Freiheit
Sepp Schellhorn, Wirtschaftssprecher der Neos, und Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner liegen mit ihren Vorstellungen einer Reform der Gewerbeordnung weit auseinander. Wie man die Distanz verringern könnte, diskutierten beide auf Einladung der SN. SN: Herr Haubner, die Reform der Gewerbeordnung war das erste Opfer des Zerbrechens der Koalition. Haben Sie den Schmerz schon überwunden? Haubner: Ich habe damit kein Problem, weil man sie jetzt noch einmal diskutieren und die Vorzüge der Reform präsentieren kann. Wir haben eine klare Struktur in die GewO gebracht, es gibt nur mehr freie und reglementierte Gewerbe, die Teilgewerbe haben wir beseitigt. Bei den freien Gewerben gab es eine Liberalisierung, man kann künftig ohne zusätzliche Berechtigung bis zu 30 Prozent in andere Gewerbe hineinarbeiten. 85 Prozent der Gewerbe sind frei, das ist ein Riesenschritt. SN: Sehen Sie das auch so? Schellhorn: Uns freut, dass über die Gewerbeordnung wieder diskutiert wird. Mit der jetzigen Regelung bin ich naturgemäß nicht zufrieden, ich hoffe aber, dass noch etwas weitergeht. Aber wir bleiben bei unserem Ansatz, dass man die Gewerbeordnung neu schreiben sollte. Haubner: Wir haben total verschiedene Zugänge. Ich bekenne mich zu Qualität und Qualifikation und damit zu reglementierten Gewerben. Damit punktet Österreich, das ist im In- und Ausland anerkannt und das sollte man nicht über Bord werfen, Liberalisierung ist ja kein Selbstzweck. Man sieht ja, dass es überall dort, wo es keine Meister gibt, auch keine Lehrlinge gibt. SN: Eine Reform der Gewerbeordnung ist eine Gefahr für die Lehrlingsausbildung? Schellhorn: Ich verweise auf die Schweiz. Dort steigen die Lehrlingszahlen bei einem wesentlich liberaleren Gewerberecht. Es stimmt, die duale Ausbildung ist ein Erfolgsprojekt, aber es muss kein restriktives Gewerberecht dahinterstehen. Ein kluger Unternehmer wird seine Mitarbeiter auch gut ausbilden. Haubner: Nehmen wir einen anderen Nachbarn her. In Deutschland hat man die Gewerbeordnung 2004 liberalisiert. Dort gibt es zwar mehr Betriebsgründungen, aber es sind viele Einzelunternehmer, die keinen einzigen Mitarbeiter beschäftigen und auch keinen ausbilden. Das ist nicht das, was ich mir vorstelle. SN: Es gibt 81 reglementierte Gewerbe. Ist das wirklich nötig? Haubner: Ich bekenne mich zu reglementierten Gewerben, ob es 75 oder 81 sind, kann man diskutieren. Schellhorn: 26 würden genügen. Haubner: Diesen Vorschlag kenne ich noch nicht. Aber ich bin gegen einen derartigen Kahlschlag. SN: Wollen Sie die Gewerbeordnung komplett roden? Schellhorn: Nein, aber wir wollen nur reglementieren, wo es um Leib, Leben, Umwelt und Finanzen geht. Wir sollten den Markt öffnen, Liberalisierung schafft viele Arbeitsplätze. Der Wettbewerb hilft uns. SN: Die jetzige Gewerbeordnung schützt vor Wettbewerb? Haubner: Es geht auch um Sicherheit und Konsumentenschutz. Ich bin für einen Wettbewerb unter Befähigten und nicht, dass jeder alles machen kann. Ich will keine amerikanischen Verhältnisse. SN: Die sind aber weit entfernt. Haubner: Wenn ich alles aufmache, wie es Kollege Schellhorn will, mit einer Haftpflichtversicherung dahinter, habe ich amerikanische Verhältnisse. Ich bekomme eine Leistung, von der ich nicht weiß, wie sie aussieht, und Mängel kann ich über die Haftpflichtversicherung einklagen. Das ist nicht mein Zugang und das wollen auch die Leute nicht. SN: Herr Haubner, es gibt 440 freie Gewerbe. Braucht man so viele und warum wurde es nichts mit dem einheitlichen Gewerbeschein, den Sie selbst auch gefordert haben? Haubner: Mit der Regelung der Nebenrechte (30 Prozent des Jahresumsatzes können in anderen freien Gewerben erzielt werden, Anm.) ist in Wahrheit nur mehr eine Gewerbeberechtigung nötig. Die 440 freien Gewerbe bilden die unternehmerische Landschaft ab. Und es kommt dazu, dass da auch die Kollektivverträge dranhängen. SN: Das macht es nicht einfacher. Schellhorn: 840 gibt es, glaube ich. Haubner: Wenn ich so ausholze, wie du das willst, muss man das ganze System umstellen. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Schellhorn: Das verlangt niemand, aber wir wollen einen Stufenplan, genauso wie für die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer, das gehört zur Gewerbeordnung dazu. Ich bin davon überzeugt, du willst auch mehr, aber du kannst nicht. Haubner: Ich bekenne mich klar zur Solidargemeinschaft in der Wirtschaftskammer als Vertretung der Klein-, Mittel- und Großbetriebe. 60 Prozent der Unternehmen zahlen nur die Grundumlage, das sind zehn Euro im Monat. Das ist gut investiertes Geld für gute Leistung. SN: Zurück zur Gewerbeordnung. Was ist in den vier Wochen bis zur Sommerpause des Parlaments noch möglich? Schellhorn: Es muss sich noch etwas bewegen. Wir müssen auch darauf reagieren, wie sich die Arbeitswelt verändert, etwa durch die Digitalisierung. Aber das ist bei den Sozialpartnern noch nicht angekommen. Haubner: Wir haben ein gut funktionierendes System. Schellhorn: Aber wie lange noch. Es funktioniert nur insofern, als der Stillstand prolongiert wird. SN: Was ist bei der Gewerbeordnung noch zu bewegen? Haubner: Es gibt sehr konstruktive Gespräche mit allen sechs Parteien. Experten beraten über das Betriebsanlagenrecht (umstritten ist die Stellung der Anrainer in Umweltschutzfragen, Anm.), da wird es mit der nötigen Zweidrittelmehrheit schwierig. Wir reden über die Single Licence und über die Zahl der reglementierten Gewerbe. Da sehe ich persönlich wenig Spielraum, aber wir sind auch da gesprächsbereit. Schellhorn: Ich glaube, im Inneren seines Herzens ist Peter Haubner auch ein Reformer, aber er kann nicht über den Schatten seiner Partei und der Wiedner Hauptstraße (Sitz der WKO, Anm.) springen. Wir sollten die Berufsgruppen noch einmal durchgehen und einen ersten Schritt in die richtige Richtung setzen. Wenn ich mir Österreich 2030 vorstelle, dann sehe ich eine leistungsorientierte Wettbewerbsgesellschaft. Wenn man dort hinwill, darf man nicht nur schützen. Haubner: Danke für die Blumen, ich bin für Reformen mit Maß und Ziel, aber nicht für einen Kahlschlag. SN: Eine Einigung ist möglich? Haubner: Was uns beide verbindet, ist Optimismus. Schellhorn: Wir sind guten Mutes, dass es einige Schritte gibt, und das wäre ein Verdienst der Neos.