Vom Casino-Kapitalismus zu den Hasardeuren in der Politik
Aus den Unsitten in der Finanzindustrie haben die Politiker Lehren gezogen. Leider die falschen, jetzt machen sie Casino-Politik.
Wir schreiben Jahr zehn nach Ausbruch der Finanzkrise, und die Folgen sind längst nicht überwunden, vor allem in Europa. In Spanien wurde erst dieser Tage die Banco Popular von Santander aufgefangen und damit verhindert, dass erneut die Steuerzahler einspringen müssen. In Italien sitzen die Geldinstitute auf Bergen fauler Kredite und Griechenland ringt mit den Geldgebern immer noch im Finanzhilfen.
Neben der Realwirtschaft hat die Finanzkrise auch in der Terminologie ihre Spuren hinterlassen, unter anderem erfreute sich der Begriff Casino-Kapitalismus großer Beliebtheit. Darin kommt die Wut der Menschen zum Ausdruck, aber das Wort gefiel auch vielen Politikern, die sich über ein Verhalten in der Finanzindustrie empörten, das man sich in den schlimmsten Träumen nicht vorstellen konnte.
Der Begriff „Casino capitalism“ist aber viel älter, er wurde bereits 1986 von der Politologin Susan Strange geprägt. Und damit schlagen wir die Brücke über den Ärmelkanal auf die Britische Insel. Dort zeigt sich seit rund einem Jahr auf exemplarische Weise, dass Politiker zwar gern und oft zu Recht die Unsitten anprangern, die in der Wirtschaft Platz gegriffen haben. Aber man sieht auch, dass sich die dort eingerissene Mentalität, Geschäfte ohne Rücksicht auf Verluste der Allgemeinheit zu machen, auch in der Politik breitgemacht hat.
Den Anfang machte Ex-Premierminister David Cameron, der vergangenes Jahr ohne Not ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs vom Zaun brach. Abgehoben von der Wirklichkeit und in völliger Verkennung der Stimmungslage im Land, wähnte sich Cameron sicher, dass die Briten schon so entscheiden würden, wie er das für richtig hielt und ihn in seinem Amt stärken würde. Er setzte für ein Votum über sein persönliches politisches Schicksal die Zukunft des Landes aufs Spiel – der Ausgang ist bekannt.
Die misslungene Volte ihres Vorgängers hätte Theresa May eine Lehre sein können, und dennoch wiederholte sie den Fehler Camerons. Sie wollte ein Votum für ihren persönlichen Feldzug gegen Brüssel und erlitt eine krachende Niederlage. Denn auch wenn die Tories stärkste Partei blieben, ist das Wahlergebnis eines sicher nicht: ein Mandat für einen „Hard Brexit“.
Dass Frau May gewillt scheint, weiterzuregieren, und die Chuzpe hat, dies damit zu begründen, dass das Land nun Stabilität brauche, zeigt: Der Casino-Kapitalismus hat in der Politik sein Pendant gefunden. Das Vereinigte Königreich und andere Länder befinden sich im Würgegriff einer Casino-Politik, die mindestens so ablehnenswert ist wie die Auswüchse in der Finanzwirtschaft. Gegen Letztere wurden bereits Maßnahmen ergriffen, Casino-Politiker agieren dagegen ungehindert. Noch.