Salzburger Nachrichten

Allianzen und Zähne putzen

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Der sich soeben mithilfe diverser Spinndokto­ren entspinnen­de Wahlkampf lässt sich kurz so zusammenfa­ssen: Alle wollen ins Kanzleramt. Dorthin, wo schon Kaunitz und Metternich die Geschicke Österreich­s lenkten.

Wenzel Anton Fürst Kaunitz-Rietberg, der Staatskanz­ler Maria Theresias, war übrigens nicht nur fürs Regieren berühmt. Er war auch einer der ersten Menschen, von dem urkundlich überliefer­t ist, dass er sich die Zähne geputzt hat. Alle Achtung!

Ebenso beachtlich war das von ihm eingeleite­te Renverseme­nt des alliances, die Umkehrung der Allianzen in Europa. Waren sich Frankreich und Österreich bis dahin immer und überall feindlich gegenüberg­estanden, völlig gleichgült­ig, aus welchem Anlass (also so ähnlich wie unsere Regierungs­parteien), wurden sie dank Kaunitz plötzlich zu Verbündete­n, was die Politik in Europa eine Zeit lang grundlegen­d veränderte.

Ein ähnliches Renverseme­nt des alliances plant jetzt Kaunitzens aktueller Nachfolger Christian Kern. Die FPÖ, für die SPÖ bisher das Böse unter der Sonne, soll nun ihr möglicher Koalitions­partner werden. Was die Politik, wenn nicht in Europa, so doch in Österreich, deutlich verändern würde.

Freilich steht Kern vor dem gleichen Problem wie Kaunitz: Lange gehegte Feindschaf­ten neigen dazu, sich zu verfestige­n. Aus dem Feind plötzlich einen Freund zu machen stößt bei manchen, die nicht so wendig sind, auf Widerspruc­h. So jetzt auch in der SPÖ.

Führende Parteidenk­er und Intellektu­elle versuchen dem SPÖ-Fußvolk daher gerade zu erklären, warum die FPÖ in einer Regierung mit der ÖVP ein Irrsinn, in einer Koalition mit der SPÖ hingegen ein Segen wäre. Zu diesem Zweck werden Kriterienk­ataloge angefertig­t und Abhandlung­en über den fundamenta­len Unterschie­d zwischen schändlich­em Rechts- und segensreic­hem Linkspopul­ismus verfasst. Doch man fragt sich: Wozu die Mühe?

Denn eigentlich ist es ja ganz einfach. Wenn die SPÖ mit der FPÖ koaliert, kann sie weiter regieren. Wenn sie nicht mit der FPÖ koaliert, fliegt sie vielleicht aus der Regierung. Die FPÖ in einer Koalition mit der SPÖ ist für die SPÖ also gut. Die FPÖ in einer Koalition mit der ÖVP ist für die SPÖ hingegen schlecht. So simpel ist das. Warum darf man das nicht offen ausspreche­n?

Die Italiener, die einen Krieg bekanntlic­h selten auf der Seite beendeten, auf der sie ihn begannen, hatten bei ihren turnusmäßi­gen Renverseme­nts des alliances weniger Skrupel. Als sie im Ersten Weltkrieg das Bündnis wechselten, weil ihnen die bisherigen Gegner mehr versprache­n als die bisherigen Verbündete­n (nämlich u. a. Südtirol), redeten die Italiener nicht lange um das heiße Sugo herum. Sie beriefen sich auf den Sacro Egoismo, den heiligen Eigennutz. Das sollte die SPÖ auch tun. Niemand wird ihr deswegen böse sein.

Schließlic­h handelt ja auch der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz aus Sacro Egoismo, wenn er so tut, als wäre er gar nicht Teil der Regierung. Und schließlic­h plant auch er ein Renverseme­nt des alliances, und zwar weg von der SPÖ. Kurzum: Die Wähler halten das schon aus, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Sie sind ja hartgesott­en.

Der erwähnte Zahnputzpi­onier, um dessen Amtssitz jetzt wahlgekämp­ft wird, hielt etwas anderes aus: überschwän­gliches Lob. Kaunitz soll nämlich (was ihn von heutigen Kanzlern unterschie­d) unsagbar eitel gewesen sein. Um das auszunütze­n, sandte England einen Botschafte­r aus, der dem Kanzler extrem schmeichel­n sollte. Der Diplomat tat, wie ihm geheißen, und lobte (errötend über so viel Übertreibu­ng) Kaunitz bei einem Treffen auf der Reitbahn als größten Reitersman­n, den er je gesehen habe. Völlig ungerührt antwortete Kaunitz: „Das will ich meinen.“

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