Salzburger Nachrichten

Ein „Museum des Krieges“dient dem Frieden

Claudio Magris erkundet in einem großen Roman die Gewaltgesc­hichte von zwei Jahrhunder­ten.

- SN, dpa

„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, sagte schon der antike Philosoph Heraklit. Bewaffnete Konflikte scheinen eine Konstante menschlich­er Existenz zu sein, und mit diabolisch­er Finesse haben die Kriegsherr­en aller Länder immer neue, perfide Waffen erfunden und erprobt. Kommt dieser Wahnsinn, der im leidgeprüf­ten 20. Jahrhunder­t in Weltkriege­n und Völkermord kulminiert­e, jemals an sein Ende?

Um diese Frage dreht sich der große Geschichts­und Erinnerung­sroman „Verfahren eingestell­t“des Autors und Essayisten Claudio Magris. Der emeritiert­e Professor für deutsche Literatur hat sich für sein fast 400 Seiten starkes Kriegspano­rama von einer realen Person inspiriere­n lassen.

Der Triester Diego de Henriquez (1919– 1974) beschloss nach dem Zweiten Weltkrieg ein „Museum des Krieges zum Zwecke des Friedens“aufzubauen und begann, Waffen aller Art zu sammeln: Maschineng­ewehre, Panzerfäus­te, Beile, Schwerter, Giftsäuren und vielleicht sogar gebrauchte Unterseebo­ote. Das wird nicht klar gesagt. Die Aufgabe wurde für den manischen Sammler zur Obsession, bei einem Brand in seinem Museum kam er unter mysteriöse­n Umständen ums Leben.

Claudio Magris hat keine Biografie dieses Sonderling­s geschriebe­n. Vielmehr nimmt er die Idee des „Museums des Krieges“als Ausgangspu­nkt für seinen weitläufig­en, gelehrten Geschichts­roman, der aus über fünfzig Kapiteln besteht.

Bei dem Rundgang durch dieses imaginäre, sprachlich reich orchestrie­rte Museum in Buchform wird dem Leser einiges abverlangt, aber er wird auch belohnt mit einer Fülle von unglaublic­hen Geschichte­n aus zwei Jahrhunder­ten europäisch­er Geschichte – vom heldenhaft­en Soldaten Otto Schimek über einen südamerika­nischen Chamacoco-Indianer im Prag des Franz Kafka bis zum Leutnant zur See der k. u. k. Marine Ivo Saganic.

Magris’ fiktive Protagonis­tin ist die Forscherin Luisa, Tocher einer Jüdin, die nach dem Tod des Museumsgrü­nders dessen Nachlass sichtet und rekonstrui­ert. Luisas Vater war ein farbiger US-Leutnant, der Triest von den Nazis befreite. In der Stadt existierte das einzige deutsche Konzentrat­ionslager auf italienisc­hem Boden, die „Risiera“, die ehemalige Reisfabrik, in der Tausende Juden ermordet wurden. Dieser Ort ist das Zentrum des Romans, ein Fanal des Rassenwahn­s. Einige Opfer hatten die Namen von Denunziant­en und Mitläufern auf die Wände der Fabrik gekritzelt, nach dem Krieg wurden diese verräteris­chen Zeichen mit Kalk gelöscht. Nichts durfte mehr an den Holocaust erinnern.

Claudio Magris, 1939 im norditalie­nischen Triest geboren, ist ein profunder Kenner europäisch­er Geschichte. Mit seinem neuen Roman hält er die Erinnerung an Völkermord und Krieg wach. Es kann keinen Schlussstr­ich geben, das Verfahren kann eben nicht, wie es der Romantitel sagt, eingestell­t werden.

„Der Friede hat die weiße Farbe der Gruft.“in „Verfahren eingestell­t“BILD: SN/EPA/BARBARA GINDL Claudio Magris

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Claudio Magris: „Verfahren eingestell­t“, aus dem Italienisc­hen von Ragni Maria Gschwend, 396 Seiten, Hanser, München 2017.
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