Ans Licht gehoben
Nach „Amerika ist anders“entfaltet Arthur Rundt seine USA-Kritik in einem Roman.
Wer zwischen September und Oktober 1928 „Marylin“von Arthur Rundt nicht als Fortsetzungsroman in der „Neuen Freien Presse“gelesen hat, kann den Text nicht kennen. Er ist bisher nie in Buchform erschienen und wird erst jetzt – dank der Bemühungen des Klagenfurter Germanisten Primus-Heinz Kucher – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Und die sollte sich ernsthaft kümmern um dieses Buch, das nicht nur mit einer Geschichte voller überraschender Wendungen aufwartet, sondern auch ein Porträt der USA zu einer Zeit liefert, als die Rassentrennung gesellschaftliche Normalität gewesen ist.
Arthur Rundt hatte Amerika bereist und über seine Erfahrungen ein Sachbuch verfasst, in dem er dem Mythos vom amerikanischen Traum große Skepsis entgegenbrachte: „Amerika ist anders“. Im Roman „Marylin“legt er nach, wenn er von Leuten aus kleinen Verhältnissen schreibt und sie bei ihren Bemühungen beobachtet, anständig zu bleiben und dennoch den Kopf über Wasser zu halten. Rundt nimmt die Haltung eines Sozialrealisten ein, er liebt die Menschen, von denen er erzählt und die allesamt gefangen sind in ihrer gesellschaftlichen Rolle, die sie nicht verlassen dürfen.
Philip und Marylin stammen aus Verhältnissen, die ihnen keine großen Sprünge erlauben. Sie üben sich in Bescheidenheit und finden sich ab damit. Das kleine Glück findet sich im Privaten, um Politik scheren sie sich nicht. Dabei erleben sie deren Folgen hautnah. Sie bleiben die braven, kleinen Bürger, die keine Fragen stellen, die tun, was ihnen befohlen. Und wenn sie sich als tüchtig erweisen, dürfen sie einen Karrieresprung und ein paar Dollar mehr erwarten. Alles bleibt im Rahmen.
Philip ist ein hartnäckiger Kerl. Er hat sich in den Kopf gesetzt, Marylin zu kriegen, auch wenn sie ihn ihre Ablehnung noch so deutlich spüren lässt. Nicht, dass sie ihn nicht ebenso lieben würde, aber sie versperrt ein düsteres Geheimnis in ihrem Inneren, das sie nicht einmal ihrem Geliebten und späteren Ehemann zu offenbaren wagt, so schrecklich ist es.
Die beiden finden endlich zu Harmonie, pflegen Umgang mit Freunden. Solch eine Durchschnittsbeziehung wäre keinen Roman wert. Immerhin gehen ein Boxer, der momentane Superstar, und ein gefeierter Musiker, beide Schwarze, bei ihnen aus und ein. Das lässt sich rechtfertigen, denn erfolgreiche Farbige in Sport und Kultur werden toleriert. Und später, als die Trennung des Paares unausweichlich wird, weil fälschlich Liebesverrat im Raum steht, flüchtet Marylin mit ihrem Kind in die Karibik. Auf dem Weg dorthin begegnet sie einem farbigen Doktor, der als Agitator in der Rassenfrage aktiv wird. Er fordert Gleichberechtigung: „Auch wenn der Neger schmutzig ist – es gibt Weiße, die es nicht weniger sind!“ Und eine ältere Schwarze muss ihm zustimmen. „Wenn der farbige Mann es zu etwas gebracht hat, dann wird er von den Weißen, die weniger haben, deshalb besonders neidisch angesehen, weil er ein Farbiger ist.“
Arthur Rundt enthält sich der AmerikaBegeisterung seiner Generation, die sich einen Hoffnungsort imaginierte als Gegenbild zu einem Europa, das sich einer Zerreißprobe ideologischer Extreme ausgesetzt sah. Der Roman ist die Beweisführung des Unsinns, Menschen nach Hautfarben zu klassifizieren. Arthur Rundt kann sich sehen lassen neben dem heute wieder entdeckten Hans Fallada, der ebenso einen klaren Blick auf die soziale Misere warf, indem er an einer Handvoll Figuren nachwies, was es für diese bedeutet, aller Sicherheiten verlustig zu gehen. Bei Rundt ist das Glück eine Sache der Rasse. Das darf man nicht nur als Kritik an einem bornierten Amerika auffassen, sondern das ist 1928 als Angriff auf das nationalsozialistische Hassprogramm aufzufassen. 1939 emigrierte Rundt nach zwei Schlaganfällen in die USA, wo er bald nach seiner Ankunft verstarb.
Das Wissen um soziale Zusammenhänge, das sich Rundt theoretisch erarbeitet hatte, brachte er in eine ans Mitgefühl appellierende Erzählung. Das ist der Trick, Überzeugungsarbeit unters Volk zu bringen. Eine erstaunliche, lohnende Lektüre, in der wir leicht verschoben gegenwärtige Haltungen wiederfinden.