Salzburger Nachrichten

Franzobel: „Wir dürfen nicht müde werden, Humanismus und Toleranz zu predigen“

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Ach, was muss man oft von bösen Sachen lesen wie zum Beispiel hier von diesem Internet: Da gibt es grausliche und menschenve­rachtende Kommentare, aber auch Fake News, die beinahe Panik oder Kriege auslösen.

Dass die Schreiber von garstigen Kommentare­n gegebenenf­alls strafrecht­lich verfolgt werden, halte ich für richtig. Sie zu schroten, wie es Max und Moritz, wovon der Eingangssa­tz entlehnt ist, passiert ist, halte ich aber für verkehrt. Früher gab es Leserbrief­e, den Stammtisch und noch früher den Pranger, wo Leute ihre Wut abreagiere­n konnten – heute ist das nur noch im Auto und am Fußballpla­tz erlaubt, und selbst da nur noch in Maßen. Aber vielleicht braucht eine Gesellscha­ft solche Gummizelle­n? Ist das nicht besser als eine aufgestaut­e Wut, die sich irgendwann körperlich entlädt? Ich bin gegen jede Art Sanktionen, aber einen Benimm-Kurs kann ich mir vorstellen. Analog zu den Schockbild­ern auf den Zigaretten­packungen würde ich kleine Filmchen vorschlage­n, in denen Shitstorm-Opfer gezeigt werden und generell zu mehr Nettigkeit aufgerufen wird.

Anders ist es mit den Fake News. Hier wird das Prinzip der reißerisch­en Überschrif­t zur Potenz pervertier­t. Aber wie will man bestimmen, welche Wahrheit nur erfunden worden ist, um Aufmerksam­keit zu generieren? Zensur kann nicht die Lösung sein, und ein Appell an gewinnorie­ntierte Konzerne wird wenig bringen. Wenn es nur noch um Klickzahle­n und Werbewerte geht, spielen Moral und Anstand keine Rolle mehr. Das sind Probleme der ganzen Gesellscha­ft, nicht nur des Internets, wo sich die Verlottert­heit und Wertelosig­keit halt besonders drastisch zeigt. Daher darf die aufgeklärt­e Gesellscha­ft nicht müde werden, Humanismus und Toleranz zu predigen. Lesen ist vielleicht ein guter Anfang – auch wenn es „nur“Max und Moritz ist.

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BILD: SN/A. ANEX/ KEYTSONE/PICTUREDES­K Franzobel, österreich­ischer Schriftste­ller.

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