Ein Salzburger Genie setzt in China Zeichen
Welchen Anklang Georg Trakls Lyrik im Fernen Osten findet und warum Thomas Bernhard „erst im dritten Leben“Chinese werden wollte.
SALZBURG. Dass sich jedes Gut bequem durch die ganze Welt transportieren lässt, gilt in Zeiten der Globalisierung längst als normal. Aber trifft das auch für Kunst zu?
Musik hat es in der Frage noch vergleichsweise einfach. Für Salzburg-Besucher aus aller Welt eignet sich Mozart gleichermaßen als Magnet. Mehr Hürden gibt es zu überwinden, wenn Gedichte in einen anderen Kulturkreis vermittelt werden sollen. Den Transport muss in der Lyrik nicht nur das Erzählte möglichst schadlos überstehen, sondern auch Sprachklang und Stimmungen, die zwischen den Zeilen mitklingen. Er verstehe sie zwar nicht, urteilte schon der Philosoph Ludwig Wittgenstein über die Gedichte des Salzburger Lyrikers Georg Trakl, „aber ihr Ton beglückt mich. Es ist der Ton der wahrhaft genialen Menschen.“
Welchen Nachhall dieser Ton mehr als 100 Jahre nach dem Tod des Dichters findet, ist in der Salzburger Georg-Trakl-Forschungsund -Gedenkstätte an einer Vitrine zu sehen, in der Hans Weichselbaum Bände mit Übersetzungen sammelt. „In 32 Sprachen sind Trakls Werke bisher übertragen“, sagt der Leiter der Institution.
Die jüngste Veröffentlichung kam erst vor wenigen Wochen auf den Markt: In China wurde erstmals Trakls Gesamtwerk übersetzt. Zu dem Anlass war der Salzburger Experte eingeladen, an Universitäten in Schanghai und Xi’an Vorträge und Seminare zu halten.
Wie schwierig sich der Transfer von Trakls vielschichtigen Sprachbildern in ein anderes Zeichensystem gestalten kann, weiß Weichselbaum aus Erfahrung: Während eines früheren Aufenthalts in Xi’an als Sprachlektor half er bei ersten Übersetzungen einzelner Gedichte. Bei der Suche nach Schriftzeichen, mit denen sich Zeilen wie „Golden blüht der Baum der Gnaden“aus dem Gedicht „Ein Winterabend“adäquat übertragen ließen, „stößt man schnell an Grenzen“.
Gelegentlich lassen sich aber auch überraschende Übereinstimmungen zwischen Österreich und China finden. Das Werk des Salzburger Schriftstellers Thomas Bernhard etwa findet in China erstaunlich viel Anklang. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt der Pekinger Germanist Han Ruixiang. Er hat zuletzt Bernhards autobiografische Romane übersetzt und auch eine Handke-Ausgabe betreut: Handkes „Chinese des Schmerzes“wurde 2016 als Teil einer achtbändigen Edition veröffentlicht. Nun übersetzt er Christoph Ransmayrs im alten China angesiedelten Roman „Cox oder Der Lauf der Zeit“.
In Salzburg hat der chinesische Germanist einst über den „komischen Aspekt in Thomas Bernhards Romanen“promoviert. Entsprechend launig habe sich der Schriftsteller gezeigt, als Weichselbaum und Han Ruixiang auf gut Glück zu Bernhards Haus in Ohlsdorf fuhren: Er plauderte eine Stunde mit ihnen. „Ein Chinese werde ich erst in meinem dritten Leben“, habe Bernhard zum Abschied gesagt. Das Nachleben des österreichischen Schriftstellers in China ist aber bereits jetzt bemerkenswert: Die chinesische Bernhard-Ausgabe sei binnen sechs Monaten vergriffen gewesen, habe ihm Han Ruixiang berichtet, sagt Weichselbaum. Welche Erklärungen es dafür gibt? Bernhards „ironische Weise, sich mit der Realität zu befassen“, sei chinesischen Lesern durchaus nicht fremd, habe ihm Han erläutert. Sie weise manche verblüffende Parallelen zu Jia Ping Wa, einem berühmten chinesischen Autor, auf.
Ein Wahrnehmungsproblem habe österreichische Literatur in China dennoch lange gehabt: Die längste Zeit sei sie automatisch zur Literaturgeschichte Deutschlands gezählt worden. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich jedoch ein Bewusstsein für die Eigenheiten österreichischer Autoren herausgebildet: Schnitzler, Hofmannsthal und insbesondere Stefan Zweig würden viel rezipiert, sagt Han Ruixiang.
Dass die Werke Elfriede Jelineks in China hingegen unter den Erwartungen blieben, sei auch auf zu oberflächliche Übersetzungen zurückzuführen: Nach dem Nobelpreis wollten Verleger sie zu überhastet auf den Markt bringen.
Bei Trakls Gesamtwerk wurde diese Falle vermieden. Einer der beiden Übersetzer, Lin Ke, sei selbst Lyriker, sagt Weichselbaum, „das ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen“. Zu sprachlichen Herausforderungen, ergänzt der TraklForscher, kämen in manchen Kulturkreisen freilich auch kulturelle Tabus. Mancher Punkt in der Biografie des Dichters stehe der Verbreitung seines Werks bis heute im Weg, „sein Freitod, seine Probleme mit Drogen und das Verhältnis zu seiner Schwester Grete – auch, wenn die Überlieferung einer inzestuösen Beziehung in meinen Augen so gar nicht stimmt“. In China sei anlässlich der Buchpräsentation vor allem die Neugier auf Trakls literarisches Werk spürbar geworden. Unter dem Titel „Trakls Weg in die Moderne“stellte Weichselbaum dort das OEuvre des Dichters vor.
Die Frage, was Trakls Lyrik bis heute zeitgemäß mache, führt wieder zurück zum Ton des Genies: „Es ist die untergründige Musikalität seiner Lyrik – und seine Sprachbilder, die nie ins Klischeehafte gingen“, sagt Weichselbaum. „Er hat immer eigene Wege gesucht.“
„Auch kulturelle Tabus können einer Übersetzung im Wege stehen.“Hans Weichselbaum, Trakl-Experte