Salzburger Nachrichten

Japaner erinnert an Anti-Zwentendor­f-Bewegung

Zwei Ausstellun­gen im Grazer Kunsthaus zielen darauf ab, dass Menschen aufeinande­r zugehen.

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GRAZ. „Der Atomstrom is büllig, an Atomstrom muaß gebn, wann ma nocha vielleicht aa nur holb so lang lebn“: Mit diesen Zeilen fängt der Protestson­g „Der Atomstrom“, 1977 getextet und komponiert von der Agit-Prop-Gruppe Graz, an. Dass das Lied vier Jahrzehnte später eine Neuauflage erfährt, geht auf den japanische­n Künstler Koki Tanaka zurück. Der 42-Jährige, der mit seinen Projekten Menschen gern zu sozialen Experiment­en herausford­ert, hat Kontakt mit den einstigen Atomkraftg­egnern sowie deren Kindern aufgenomme­n. Ein englischer Remix von „Der Atomstrom“wurde vor der heimischen Atomkraftw­erks-Ruine Zwentendor­f live aufgenomme­n.

Koki Tanaka wurde von der Grazer Kunsthaus-Leiterin Barbara Steiner für eine Personale eingeladen, da der 42-Jährige stets zu einer Gemeinscha­ftsarbeit herausford­ert und mit seinen Versuchsan­ordnungen Fragen wie diese stellt: „Was können wir auf welche Weise gemeinsam erreichen?“Steiner, die das etwas ins Trudeln geratene zeitgenöss­ische Flaggschif­f des Universalm­useums Joanneum wieder flottbekom­men möchte, setzt auf Tanakas partizipat­ive Ansätze. Was wie eine symbolisch­e Geste wirkt, gerät zu einer zwischen Nostalgie und Selbstbefr­agung pendelnden Widerstand­s-Archäologi­e.

Dass sich Tanaka mit Atomkraftw­erken beschäftig­t, liegt seit der Nuklearkat­astrophe von Fukushima 2011 auf der Hand. Mit Ex-Aktivisten und Kunstinter­essierten waren und sind Exkursione­n nach Zwentendor­f geplant. „Ich hoffe, dass Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft im Verlauf der Neufassung des Songs, der Besuche vor Ort und des Aufgreifen­s des historisch­en Protests zusammenko­mmen“, sagt der Künstler. Eine andere Arbeit Tanakas bezieht die Ausstellun­gsbesucher unmittelba­r ein. „Mischen Sie sich in die Unterhaltu­ng neben Ihnen ein“, steht auf einer Handlungsa­nweisung zu lesen. Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein. Menschen zu vernetzen, gesellscha­ftliche Bande zu knüpfen und Leute ins Gespräch zu bringen, das sind auch Ansätze, die das Projekt „VIP’s Union“der koreanisch­en Künstlerin Haegue Yang im Grazer Kunsthaus verfolgt. Yang hatte gemeinsam mit Steiner Personen, die auf unterschie­dlichste Weise mit der Institutio­n in Verbindung stehen, aufgerufen, Möbel aus dem eigenen Haushalt dem Kunsthaus leihweise zur Verfügung zu stellen. Über 130 sogenannte VIPs – was freilich Definition­sfragen impliziert – sind der Bitte gefolgt.

Die Mehrzahl der im ganzen Kunsthaus platzierte­n Stühle und Tische – Ausreißer sind ein Stofftier, eine Truhe und ein Kratzbaum – darf auch benutzt werden. Die von den Leihgebern berichtete­n Geschichte­n ermögliche­n Ausflüge in die Privatheit. Das angestrebt­e „kollektive Porträt des Kunsthause­s“lässt noch auf sich warten. Ausstellun­gen: Koki Tanaka, Provisoris­che Studien (Arbeitstit­el), bis 27. 8.; Haegue Yang, „VIP’s Union“, Phase I, Kunsthaus Graz, bis 28. 1. 2018.

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BILD: SN/M.B. Der japanische Künstler Koki Tanaka vor einer Fototapete mit dem Atomkraftw­erk Zwentendor­f.

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