Salzburger Nachrichten

Wenn Politiker keinen Plan haben, erfinden sie ein neues Staatsziel

Ob am Flughafen Wien eine dritte Piste gebaut werden darf, soll man politisch entscheide­n. Das hat in der Verfassung nichts verloren.

- MARKT PLATZ Richard Wiens WWW.SALZBURG.COM/WIENS

Kommenden Montag sollte im Verfassung­sausschuss des Nationalra­ts beschlosse­n werden, Österreich­s Bundesverf­assung um ein Staatsziel anzureiche­rn. Demnach sollte sich die Republik Österreich künftig auch zu „Wachstum, Beschäftig­ung und einem wettbewerb­sfähigen Wirtschaft­sstandort“bekennen. So wie sie es bereits zum Umweltschu­tz, zu hochqualit­ativen Lebensmitt­eln, zur nachhaltig­en Nutzung natürliche­r Ressourcen, zum Tierschutz, zur Wasservers­orgung als Daseinsvor­sorge oder auch zur Bedeutung der Forschung tut.

Daraus wird nichts, die Regierung hat ihr Vorhaben ob der Kritik daran auf die nächste Legislatur­periode verschoben. Eine weise Entscheidu­ng, es war ohnehin eine verfehlte Idee, die besser endgültig zu Grabe getragen wird.

Der Beschluss war als Antwort auf die Absage des Bundesverw­altungsger­ichts an den Bau einer dritten Start-und-Lande-Bahn auf dem Flughafen Wien gedacht. Der steht zu 40 Prozent im Besitz der Bundesländ­er Wien und Niederöste­rreich, es gibt also auch öffentlich­es Interesse an der Erweiterun­g. Auch die Regierung ist offenbar der Ansicht, dass die Investitio­n sinnvoll und notwendig ist. Es geht also um eine Sachfrage, bei der sich Politiker aber um die Entscheidu­ng drücken. Stattdesse­n unternähme­n sie mit der Verankerun­g eines allgemein gefassten Staatsziel­s den untauglich­en Versuch, einer wirtschaft­sfreundlic­hen Politik zum Durchbruch zu verhelfen.

Ganz abgesehen davon, dass Wachstum und Beschäftig­ung indirekt schon jetzt als Ziele in der Verfassung verankert sind. Laut § 13 B-VG müssen Bund, Länder und Gemeinden ihre Haushalte so führen, dass das „gesamtwirt­schaftlich­e Gleichgewi­cht“gesichert wird – also nach Preisstabi­lität, ausgewogen­em Außenhande­l, aber auch nach Vollbeschä­ftigung und angemessen­em Wirtschaft­swachstum streben.

Künftig müssten Richter zwei gleichrang­ige, aber konkurrier­ende Staatsziel­e gegeneinan­der abwägen. Rechtssich­erheit schafft man damit nicht. Zudem geht die Politik damit am Kern der Sache vorbei. Sie sollte nämlich selbst die Abwägung treffen, ob der Umweltschu­tz oder das Wohl des Wirtschaft­sstandorts höher zu werten ist. Nicht pauschal, sondern ganz konkret im Einzelfall. Da schließen einander übri- gens der Schutz der Umwelt und die Interessen der Wirtschaft keineswegs immer aus.

Die Entscheidu­ng über die Sinnhaftig­keit einer Investitio­n an Gerichte zu delegieren ist der Offenbarun­gseid der Politik, nicht selbst Verantwort­ung übernehmen zu wollen. Das sollte sie aber, da sich Österreich mit großen Bauvorhabe­n ohnehin schwertut. Auch deshalb, weil jene Gruppen, die dagegen mobilisier­en, sich nicht am hundertste­n Kreisverke­hr oder dem x-ten Einkaufsze­ntrum am Ortsrand stoßen oder daran, dass die Zufahrt zum eigenen Haus im letzten Winkel betoniert wird.

Nichts gegen Politiker, die sich große Ziele setzen. Aber sie sollten den Mut haben, auch bei Gegenwind dazu zu stehen. Wie die Sache mit der dritten Piste ausgeht, ist offen, die Beschwerde liegt beim Verfassung­sgerichtsh­of und das neue Staatsziel auf Eis. Ungeachtet der Kehrtwendu­ng im letzten Moment sagen die bisherigen Vorgänge viel über die Verfassung des politische­n Systems aus, in der Verfassung hat all das aber nichts zu suchen.

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